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Buzz-Innovation: Abgehobene Allmachtsphantasien vs. wachsendes Unbehagen.

Innovation ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Wenn diese Behauptung noch einer Bestätigung bedurft hätte: Der „Innovationstag“ 2017 lieferte sie.

Wir hatten uns ursprünglich aus redaktionellen und technischen Gründen darauf geeinigt, diesen Beitrag aus dem Oktober 2017 nicht mehr zu publizieren. Aufgrund der Abwicklung von Cambridge Analytica und den Ermittlungen gegen Alexander Nix wegen Datendiebstals und der hiermit verbundenen gravierenden Probleme bei Facebook, die eine Neubewertung von Markenkommunikation in Sozialen Medien unumgänglich machen, haben wir uns jetzt doch (hinterher ist man klüger…) zu einer Veröffentlichung entschlossen.

Seit 2004 findet alle Jahre wieder der „Innovationstag“ im Haus der Kommunikation in München statt. So auch am 28. September 2017, wo man unter dem großsprecherischen Motto „Inspiration von den Besten – für den Erfolg von Morgen“ nach eigenen Angaben „400 Vorstände, Geschäftsführer und Markenverantwortliche und internationale Top-Referenten aus Wirtschaft, Medien und Politik miteinander ins Gespräch“ brachte. Veranstalter des prominent besetzten Events sind die Werbeagenturgruppe Serviceplan, die Vermarktungsgesellschaft und RTL-Tochter IP Deutschland, die FAZ, Gruner und Jahr, Samsung und das Red Bull Media House. Top-Referenten waren dieses Jahr u.a. der schwedische „Cyberphilosoph“ Alexander Bard, der FAZ-Herausgeber und Feuilleton-Chef Jürgen Kaube, Professor Nida-Rümelin, Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg und Cambridge Analytica- CEO Alexander Nix. So weit, so gut. Davon einmal abgesehen, hinterlässt die Veranstaltung – auf der sich die Wirtschafts- und Medienelite ein weiteres Mal als Erfolgsgarant von Morgen inszeniert – trotz (oder vielleicht auch: wegen) ihrer ambitionierten Innovationsrhetorik eher einen faden Beigeschmack. Offenbar hat der vielbeschworene Begriff der Innovation im Laufe der Jahre deutlich an Strahlkraft verloren hat.

Was ist passiert? Der Begriff „Innovation“ ist zum Buzz-Word geworden – um nicht den drastischeren Begriff Bullshit-Word zu verwenden. Damit teilt das Wort „Innovation“ ein ähnliches Schicksal wie die Buzz-Words „Globalisierung“, „Disruption“ und „Digitalisierung“. Was ist das Charakteristische an solchen Begriffen? Sie benennen generelle Ereignisse und Prozesse, die auf ökonomische, technologische und soziokulturelle Entwicklungen zurückgehen (also von Menschen gemacht sind), allem Anschein nach aber wie unwiderstehliche Naturgewalten über die Menschen und ihr Leben hereinbrechen und existenzielle Herausforderungen mit sich bringen. Dafür bieten dann „wir“ – der erlauchte Kreis von Investoren, Managern, Wissenschaftlern, Beratern und Politikern – die geeigneten Lösungen. Die immanente Logik dieser Sicht der Dinge: Schon heute und noch viel mehr in Zukunft ist unser aller Leben die Sache einer auserwählten Gruppe vorgeblich hochkompetenter Entscheidungsträgern, die sich selbst und anderen suggerieren, schon zu wissen, was für „uns alle“ – also den Rest der Menschheit – richtig und wichtig ist.

Bleibt die einfache Frage: Wissen sie es wirklich? Buzz-Words sind offen für individuelle Projektionen und Interpretationen aller Art. Jeder, der so ein Wort nur denkt oder ausspricht, versteht etwas anderes darunter. Solche aufgeblasenen Begriffe tragen nicht zur Klärung von komplexen Sachverhalten und praktikablen Lösungen bei, sondern verbleiben in einer Sphäre des Unverbindlichen und Ungreifbaren. Sie dienen zu allererst der Selbstvergewisserung. Gleichzeitig schaffen sie aber vor allem Eines: Unsicherheit. Buzz-Words stehen für einen psychologischen Kontext, der zur Grundlage des Geschäftsmodells von Beratungsunternehmen geworden ist, die auf die Unsicherheit, ja die Angst ihrer Klientel setzen. Der damit verbundene Mechanismus läuft im Kopf des abgehobenen Entscheidungsträgers nach einem einfachen Schema ab: „Achtung, es gibt schon wieder etwas Neues. Da heißt es jetzt: Dranbleiben. Aber was genau soll ich jetzt machen? Eigentlich habe ich von diesem ganzen Zeug – Digitalisierung, UI/UX, Customer Journey etc. pp. – keine Ahnung. Aber der Vorstand hat mich geholt, damit ich als Modernisierer Flagge zeige. Wenn ich jetzt nicht gleich was auf die Rolle bringe, bin ich weg vom Fenster. Zum Glück gibt es ja die Berater von XYZ. Die werden mir schon sagen, was ich tun muss.“ 

Wer jetzt meint, dass solch ein innerer Monolog unrealistisch sei und wir hier eine paranoide Konstruktion unterstellen, sei ein Artikel aus „Horizont“ zum eingangs erwähnten „Innovationstag“ zur Lektüre empfohlen. Er folgt, man kann es nicht anders sagen, dem bewährten Rezept der Angstmache. Unter der Headline „Die Folgen des digitalen Wandels werden sehr, sehr blutig“ wird hier der schwedische „Cyberphilosoph“ (was, um Himmels willen, soll das eigentlich sein?) zitiert: „In der Menschheitsgeschichte führten technologische Revolutionen immer zu einem Wechsel der Macht, diese Wechsel waren in der Regel sehr blutig. Die Digitalisierung wird die Industrien, wie wir sie kennen, auslöschen.“ Es gibt aber auch eine tröstliche Botschaft angesichts dieser apokalyptischen Ankündigung: „Für den durch und mit ihm gestalteten Journalismus besteht aber mittelfristig Hoffnung.“ Man kann das Ganze auch etwas banaler lesen: Angst, Panik, Disruption! Aber fürchtet euch nicht, der Experte / Consultant / Cyberphilosoph ist bei euch! Hoffnung und Licht am Ende des Tunnels…

Das weit verbreitete gesellschaftliche Unbehagen an einer technokratischen Experten-Elite, aus der sich aktuell auch der politische Populismus à la Trump oder AfD speist, kann nicht einfach mit der Inkompetenz oder Ahnungslosigkeit der „Abgehängten“ erklärt werden, die in Wahrheit die Mehrheit der Weltbevölkerung stellen. Wenn man etwas genauer hinschaut, zeigt sich, dass vergleichbare Probleme und Defizite zuerst einmal bei den Eliten selbst anzutreffen sind. Auch hierfür lieferte der „Innovationstag“ ein eindrucksvolles Exempel. Als einer „der Besten, die für den Erfolg von Morgen“ stehen, hatten die Veranstalter Alexander Nix eingeladen. Der CEO von Cambridge Analytica wurde als „Präsidentenmacher“ von Trump tituliert und gleichzeitig ob seines britisch nüchternen Auftritts in München gelobt. Und es wurde ein weiteres Mal das Angst-Schema bedient: Nix ließ ein „Potenzial erkennen (…), das klassische Werber sehr nervös machen dürfte.“ Nun ist die Erkenntnis, dass „die Werbeindustrie, wie wir sie heute kennen, ein auslaufendes Modell“ ist, alles andere als neu. Ob allerdings die Geschäftspraktiken von CA tatsächlich die Zukunft sind, darf bezweifelt werden. Denn es geht hierbei nicht nur um methodische Aspekte des Microtargeting: Die Kombination aus Verhaltensforschung, Datenanalyse und individualisierter Kommunikation liegt auf der Hand und wird sich zweifellos durchsetzen. Auf der anderen Seite werden – z.B. in der New York Times – immer wieder Zweifel am Wahrheitsgehalt der vollmundigen Darstellungen der Methodik und der Kommunikationserfolge von CA und ihrem CEO laut. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob eine individualisierte Beschickung Sozialer Medien wie Facebook mit offenkundigen Fake News, wie sie in Trumps Wahlkampagne praktiziert wurde („Crooked Hillary verachtet Farbige“), tatsächlich für eine glaubwürdige und nachhaltige Markenkommunikation taugt. Anscheinend gilt hier die Devise: Der Erfolg heiligt die Mittel, und da interessiert es auch niemanden, dass der wichtigste Eigner von CA der Trump- und Breitbart-Förderer Robert Mercer ist und Steve Bannon dort in den Aufsichtsrat verholfen hatte. So einseitig und unkritisch, wie der „Innovationstag 2017“ Alexander Nix als Innovator zelebrierte, fragt man sich allerdings, warum nicht gleich die notorische Dreckschleuder Vincent Harris von Harris Media eingeladen und als Zukunftsmodell gefeiert wurde.  

Kann man aus alldem etwas lernen? Nun, die Lage ist, wie sie ist. Die Kommunikationsindustrie wird weiterhin neue Buzz-Words kreieren, die Beratungsindustrie wird sie zur Akquisition von verunsicherten Kunden nutzen und mit etwas Glück wird sich auch Victor Harris auf dem Innovationstag 2018 in München präsentieren. Vielleicht aber auch: Unsere selbsternannte Wirtschafts- und Medienelite sollte langsam erkennen, dass für Arroganz und Selbstgefälligkeit auf Dauer kein Platz ist, dass ihre von der Technik beflügelten Allmachtphantasien in die Irre gehen und dass sie die anstehenden Herausforderungen der Zukunft nur lösen kann, wenn sie auf ihre Beschäftigten und Kunden aktiv zugeht und sie stärker einbindet. Etwas mehr Bescheidenheit, weniger Hype-Getue und die Bereitschaft, sich mehr und besser auf die „normalen Menschen“ und deren unterschätztes Potenzial einzulassen, täten gut.

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Ein Beitrag von:
15. Mai 2018

Dr. Michael Schwarz studierte Sozialwissenschaften in Frankfurt und Freiburg, promovierte bei Iring Fetscher und arbeitete neben dem Studium in der Werbung. Gemeinsam mit Günther Misof führte er über fünfzehn Jahre Beratungsunternehmen mit Schwerpunkt integraler Markenstrategien in Frankfurt und New York. Danach wurde er als freier Brand Consultant tätig. Er war an der Entwicklung von Markenstrategien und Kommunikationskonzepten für zahlreiche Auftraggeber beteiligt – hierzu zählen Konzerne, aber auch mittelständische Unternehmen sowie Organisationen in Deutschland und der Schweiz.