Ich stehe an der Seite von Marc Cloosterman, wenn er verkündet: «I love the business side of branding» (https://www.linkedin.com/pulse/brands-boardroom-business-side-branding-marc-cloosterman/). «Love»? Mir kämen wohl andere Begriffe in den Sinn. Ich finde den ökonomischen Aspekt der Markenentwicklung bedeutend, herausfordernd und interessant. Wie könnten Markenmacher*innen auch nicht? Auch ich bin der Meinung, dass Marken ein wesentliches Element der Führung eines Unternehmens oder einer Organisation sind – daher auch in den jeweiligen Führungsgremien verhandelt werden müssen. Also schaue ich mit Interesse und Vorfreude den weiteren Beiträgen von Marc zu diesem Thema entgegen.
Und es werden in der Tat auch noch eine ganze Reihe weiterer Ausführungen nötig sein, um das Thema einigermaßen adäquat abzudecken. Vielleicht ist sogar ein Perspektivenwechsel notwendig. Denn der vorliegende «first article in the series» wird dem Thema – «Brands in the Boardroom: The Business Side of Branding» – nicht einmal annähernd gerecht. Er erfüllt seinen eigenen Anspruch genau nicht: «If you are able to demonstrate how brands generate value and can orchestrate the intangible relationship between an organization and its stakeholders, you will be heard in the boardroom. After all, exhibiting this relationship is not an easy, one-dimensional thing, but it’s what board members understand.» Was vorgetragen wird, ist dann leider insgesamt viel zu ein-dimensional.
Richtig und wichtig ist der Hinweis an die Marketing-Community, sich doch darum zu bemühen, die Sprache ihrer (jeweiligen) Zielgruppen zu nutzen. Es gehört doch wohl zum 1×1 der Branche, zielgruppengerecht zu kommunizieren. Der Hinweis auf die zunehmende Finanzialisierung der Wirtschaftswelt ist auch nötig und hilfreich – wenn diese Entwicklung auch längst nicht so affirmativ gesehen werden muss, wie Marc dies tut. Gleiches gilt für die fortschreitende «Quantifizierung des Sozialen» (Steffen Mau, 2017) – da wirkt das etwas zu lautstarke «plea for data, data, and data» für aufgeweckte Zeitgenoss*innen schon sehr unreflektiert.
Keine sehr um- und weitsichtige Empfehlung an Markenmacher*innen ist es, sich den Führungskräften von Unternehmen und Organisation geradezu ausschließlich mit den Begrifflichkeiten und Vorstellungen der finanz- und datengetriebenen Welt zu nähern. Damit würde man sich unverantwortlich gegenüber dem «Boardroom» verhalten und die «Business Side» von Marken fahrlässig verkürzen.
An zwei Beispielen sei dies erläutert.
Finanzdaten dokumentieren den Erfolg (oder Misserfolg) vergangenen Handelns. Sie führen Unternehmen nicht in – die ja prinzipiell immer – ungewisse Zukunft. Dazu sind Vorstellungen über die möglichen Zukünfte und die jeweils angestrebte Zukunft unerlässlich. Jens Beckert (2018) belegt diesen Bedarf an «imaginierter Zukunft» eindrücklich. Er zeigt auch, dass «fiktionale Erwartungen» dazu entwickelt werden müssen. Dies tun zu können, ist ein wesentlicher Beitrag von Markenmacher*innen zum «Business». Dies ist eine wesentliche «Business Side of Branding».
Daten messen. Mehr Daten messen mehr. Und bessere Daten messen besser. Aber Daten führen keine Menschen, Organisationen und Unternehmen. Und dies ist sicher eine der fundamentalen Aufgaben des «Boardrooms»: Mitarbeiter*innen auf motivierende Art und Weise zu führen, ihr individuelles Handeln zielgerichtet zu koordinieren. Wir dürfen getrost annehmen, dass den (meisten) Mitgliedern in «Boardrooms» bekannt ist, dass dabei attraktive Zielvorstellungen und mitreissende Zukunftsbilder eine Rolle spielen. In seinem Buch „Narrative Ökonomie“ (2020) ruft Nobelpreisträger Robert Shiller seine Kollegen dazu auf, weniger auf Zahlen zu achten – und mehr darauf, was die Menschen erzählen. Es wäre töricht, wenn Markenmacher*innen vergessen würden, dass strategisches Storytelling den substantiellen Kern ihres Beitrags zum wirtschaftlichem Erfolg von Organisationen ausmacht. Dies ist eine weitere wesentliche «Business Side of Branding».
Insgesamt, und dies ist abschließend mein modest proposal, erhoffe ich von den weiteren Artikeln von Marc zum Thema einen weniger engen und verkürzten Umgang mit der Frage, was Marken zum wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen – nachweisbar und messbar – leisten können. Das entstehende Bild sollte deutlich weniger einfach sein – also so einfach wie möglich, aber nicht einfacher. Das Excel-Sheet ist als Führungsinstrument nur begrenzt brauchbar. Und die Erzählung sollte weniger schwarz-weiss ausfallen: also zum Beispiel nicht getrieben von dem sicher klangvollen Gegensatz «logic» versus «magic». Sie sollte motiviert sein von der intelligenten und inspirierenden Suche nach den möglichen geschäftlichen Beiträgen von (umfassend definierten) gestalterischen Kompetenzen und Fähigkeiten, der «logic of magic».