The Business of Brand Management
Branding Library

Marke ohne Werte?

Wie Künstliche Intelligenz und Digitale Aufmerksamkeitsökonomie einer nachhaltigen Markenführung die Grundlage entziehen.

Der Agenturinhaber und studierte Informatiker Sebastian Oschatz geht mit der aktuellen Praxis der Markenführung hart ins Gericht: „Die digitale Aufmerksamkeitsökonomie macht den Benutzer zum Benutzten, das Erlebnis zum Normalfall und das Verständnis zum optionalen Privatprojekt“, „Markenführung wird zur industriellen Produktion von Vertrauen“, „Vertrauen wird zur Simulation von Vertrauen“, so lauten seine Thesen zum aktuellen Stand der Dinge.  

Sebastian Oschatz: Zwei Phänomene haben die Welt und damit auch die Markenwelt völlig auf den Kopf gestellt: Die Digitalisierung einerseits sowie der Verlust von Werten wie Vertrauen und Ehrlichkeit in allen Bereichen der Gesellschaft andererseits. Exemplarisch hierfür stehen zwei Themen: 1. Die Digitalisierung läuft auf eine allumfassende Anwendung von Künstlicher Intelligenz hinaus, die unter den heutigen Vorzeichen einem einzigen, sehr unintelligenten Algorithmus dient: Aus Geld noch mehr Geld zu machen. Gleichzeitig ist „Künstliche Intelligenz“ eine Hochrisiko-Technologie: Selbst Experten können nicht mehr nachvollziehen, wie sie aufgrund welcher Ursachen und Prozesse zu welchen Wirkungen und Ergebnissen kommt. KI ist eine Blackbox – intransparent, gefährlich und spielt Kontrollverlust als unique selling proposition. 2. Die mediale Aufmerksamkeitsökonomie, die es, historisch gesehen, spätestens seit der Erfindung des Buchdrucks gibt, ist in den letzten 10 Jahren automatisiert worden. Was Aufmerksamkeit und damit Umsatz schafft, sind Aufreger, Gags, ungebremste Emotionalisierung bis hin zu offener Diskriminierung und Hassbotschaften. Genau das lässt sich im Zeitalter der Digitalisierung kostengünstig erfassen, automatisieren, optimieren und global skalieren. Die Gefahr, dass traditionelle Medien (die noch echte und intelligente Autoren beschäftigen) im Wettbewerb mit den vollautomatisierten „sozialen“ Medien unterliegen, ist so groß wie nie zuvor.

The Business of Brand Management: Die Digitalisierung ist ohne Zweifel mit vielen Vorteilen verbunden und lässt sich nicht aufhalten. Aber: Die uneingeschränkte Priorität auf ökonomischer Effizienz – sprich Profit – anstelle der Entwicklung von Vertrauen und Glaubwürdigkeit ruiniert Marken. Schaut man sich die Entwicklung insbesondere im Marketing an, geht es nur noch um Mehr, Größer, Schneller, Spektakulärer – um Effekthascherei. Um Gags bis zum Abwinken, bis der Arzt kommt. Hauptsache: Aufmerksamkeit. Auf der dmexco rennt die Branche hinter den tollen neuesten Tools her, ohne zu fragen, was sie eigentlich bewirken sollen. Hauptsache, sie versprechen ein „Mehr“, was unter den aktuellen Vorzeichen auf mehr Sales und Mehrumsatz herausläuft. Wie der Einsatz solcher Tools in die Qualität der Marke und ihre nachhaltige Beziehung zu den Kunden einzahlt, scheint niemanden mehr zu interessieren. Man hat den Eindruck, dass es nur noch um Buzzwords geht. Kein Wunder daher, wenn von Influencern die steile These vertreten wird, dass „Marken mir, nicht ich Marken vertrauen muss“. Georg Franck, der vor 20 Jahren den Begriff der „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ eingeführt hat, warnt demgegenüber vor einer zunehmenden Verknappung der Aufmerksamkeit und deren Folgen: Immer lauter und immer Mehr wird irgendwann nicht mehr wie gewünscht funktionieren. Offensichtlich sind immer mehr Markeninhaber inzwischen von allen guten Geistern verlassen und rennen offenen Auges in die Falle.
 

Viele Unternehmen haben inzwischen schlicht vergessen, was eine Marke ausmacht. Klassische Markenwerte wie Haltung, Vertrauen, Orientierung und Ehrlichkeit zählen nicht länger. Der gesellschaftliche Trend nach mehr Umsatz, mehr Deals, höheren Profit und höhere Boni auf der Anbieter-Seite sowie eine weit verbreitete Geiz-ist-geil-Mentalität, die alles immer billiger und am liebsten gleich gratis haben möchte auf Seite der Verbraucher, führen dazu, dass jegliche Hemmungen über Bord geworfen werden. Fest steht jedenfalls, dass Werte wie Vertrauen, Kundenorientierung und Nachhaltigkeit mehr und mehr unter die Räder kommen. Was zählt, sind Deals, die den unternehmerischen und letztlich persönlichen Vorteil absichern. Kein Wunder daher, dass jede Woche eine neue Sau – ohne jegliche Bewertung – durch das Marken-/Marketing-Dorf getrieben wird und ein Buzzword das andere ablöst. Diesel-Skandal und Trump-Tweets verdeutlichen wie nie zuvor, um was es heute eigentlich geht: Lügen und Fake-News, die ihrerseits jede Kritik als Lüge und Fake-News denunziert, gehen im Endeffekt durch, so lange die Kasse stimmt.
 

Gibt es angesichts dieses Mainstreams, der mehr als genug Anlass zu einer pessimistischen Sicht auf die Welt und die Situation der Marken bietet, auch Zeichen der Hoffnung, die einen Hauch von Optimismus verbreiten? Macht Senator Bob Corker aus Tennessee nicht doch vielleicht Mut, sich dem allen entgegenzustellen, wenn er im Hinblick auf die Folgegenerationen darauf verweist, dass eine (politische) Karriere nichts wert ist, wenn wir Komplizen bei der Unterminierung unserer Werte sind? In jedem Fall ist es für Kunden einfacher als für Unternehmen, der hermetischen Logik aus Geldvermehrung und automatisierter Aufmerksamkeitsökonomie zu entkommen: Sie können auf den Kauf bestimmter Produkte – brauche ich wirklich schon wieder ein neues Smartphone? – verzichten, und sie können sich bereit erklären, z.B. für den qualifizierten Content von Qualitätsmedien – wie etwa New York Times oder FAZ – zu bezahlen. Das eine wie das andere geschieht momentan, ohne dass hieraus schon eine massive Gegenbewegung zum Mainstream abgeleitet werden kann. Aber immerhin. Auch aufseiten der Unternehmen gibt es Indizien, die dafür sprechen, dass sich nicht alle der Logik des kurzsichtigen Deal-Making unterwerfen. Apple macht nach wie vor fast alles richtig – von der Preispolitik vielleicht einmal abgesehen – und Tim Cook bezieht politisch Positionen, die sich der herrschenden Unvernunft entgegenstellen. Auch Amazon – das von Investoren lange dafür kritisiert wurde – setzt klar auf langfristige Perspektiven, gibt viel Geld für Forschung und Entwicklung aus und folgt einer klaren Mission: „We want to be earth’s most customer-centric company.“ In Deutschland steht für viele mittelständische Unternehmen die Qualität ihres Angebots im Mittelpunkt ihres Wirtschaftens, und der Erfolg der hiesigen hidden champions hat vor allem auch damit zu tun, dass man ihnen den Qualitätsanspruch, in ihrer Nische der Beste zu sein, tatsächlich auch abnimmt. Auch viele Start-ups brechen aus der ökonomischen Mainstream-Logik aus: Sie möchten zu allererst ihre Produkt-Idee verwirklichen, wobei das Geldverdienen eher Mittel zum Zeck und eben nicht Selbstzweck ist. Diese besondere Haltung kann und muss dann auch die Kommunikation der dazugehörigen Marken prägen – das Unternehmen gibt ein Versprechen auf eine exzellente Lösung, auf gute Qualität und Zuverlässigkeit, auf Service und Nachhaltigkeit ab, und die Kunden entscheiden durch seinen Kauf oder eben auch Nichtkauf darüber, ob und inwieweit dieses Versprechen eingehalten wurde.

The Business of Brand Management – Cecilie Schjerven, Michael Schwarz und Günther Misof – diskutierte mit Sebastian Oschatz, Founding Partner MESO DIGITAL INTERIORS, am 26. Oktober 2017 über die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz und automatisierter Aufmerksamkeitsökonomie auf Marken und ihr Management.

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Ein Beitrag von:
20. Mai 2018

Sebastian Oschatz ist Founding Partner MESO DIGITAL INTERIORS.