Ein Beitrag zum Destination-Branding.
Städte schaffen Bilder in unseren Köpfen. Dies gilt für unsere «Heimatstädte». Aber auch für Städte, in denen wir nie waren. Und selbst dann, wenn wir sie gar nicht kennen. Wie kommen diese Bilder zustande? Oder spezifischer: Können diese Bilder beeinflusst werden – so wie dies die Macher von Stadtmarken ja behaupten.
Diesen Fragen geht unterhaltsam, überraschend und erhellend der italienische Wissenschaftler Alberto Vanolo unter der Leitfrage: «City branding. The gostly politics of representation in globalising cities» (2017) nach und setzt dabei auf die Metapher des Gespenstes.
Dabei sind Stadtbilder höchst real – in ihren Konsequenzen. Menschen haben zu Städten (oder generell geografischen Räumen, Regionen) stets spezifische Vorstellungen, seien es Stereotypen, Bilder, Slogans, Stichworte oder Atmosphären. Und diese sind handlungsleitend: sie möchten dorthin (oder eben nicht), als Tourist, Student, Arbeitssuchender, Familienmitglied. Auch Investoren folgen in ihren Entscheidungen zu grossen Teilen «imagined geografies». Und diese Images entwickeln sich «kumulativ»: vermeintlich Bekanntes wird mit jedem neuen Erlebnis oder Bericht noch verbindlicher. Gleichwohl bleiben die Bilder immer selektiv und subjektiv. All dies rechtfertigt die kritische Beschäftigung mit diesen «city imagineries and the politics behind their production, mobilisation, circulation and manipulation».
Nicht notwendig «real» sind die Stadtbilder selbst. Sie sind (mehr oder weniger) «superficial», «distorted», «partial» und «subjective», immer «partial truths, selective narrations, sorts of tales». Sie können das Ergebnis der Darstellung in Videogames (New York in «Grand Theft Auto IV»), Filmen, Bildern, Romanen oder Liedern sein. Begeisterte Spieler loben die «Authentizität» der Darstellung von New York in GTA IV. Wenn sie noch nie in New York waren, beschreiben sie damit die «realistic representation of representations». Nicht alle Städte verfügen natürlich über die einmalig dichte Präsenz in Kulturprodukten wie New York. Dann sind wir unserer Stadtbilder nicht ganz so sicher. Wir glauben zwar, dass Dortmund eine Bierstadt ist, sind aber skeptischer, ob dies «real» auch (noch) so ist. Und da wir von Dakar fast nichts wissen, übertragen wir unsere jeweiligen Vorstellungen einer «typischen afrikanischen» Stadt, weil wir wissen (oder zu wissen glauben), dass Dakar sich auf dem «schwarzen Kontinent» befindet.
Dies heisst, «that we have a vague, stereotyped and maybe even distorted idea about every place in the world». Und es bedeutet darüber hinaus, dass wir uns immer wieder «Krücken» bauen müssen, um uns Vorstellungen über die Welt machen zu können: «with the impossibility of ‘knowing’ every place in the world – and hence performing fully ‘rational’ strategies and actions – it is common to spatialize partial fragments of information.” Um uns in der Welt bewegen zu können – physisch als Reisende, Investoren, Arbeitende oder mental als Teilnehmer an politischen Diskussionen – sind wir auf solche Imaginationen angewiesen. Deren Realitätsgehalt kann offensichtlich drastisch variieren – und von grob vereinfachend bis zu rassistisch verfälscht reichen.
Die Entwicklung einer Stadtmarke arbeitet an den Stadtbildern in eindeutiger Absicht. Markenentwicklung für Städte ist «a discursive practice aimed at producing optimistic representations”. Dabei ist Markenentwicklung eng verknüpft mit materiellen Politiken und Aktivitäten. Und das Interesse für und die Arbeit an einem positiven Stadtbild existierte auch bevor der Begriff Marke breit eingeführt wurde.
Grundlegend ist ein Perspektivenwandel. Die «unternehmerische Stadt» ist nicht nur an der Bereitstellung von Services und Einrichtungen für die Stadtbevölkerung interessiert, sondern sieht sich vor allem im (internationalen) Wettbewerb mit anderen Städten. Es geht um das «Verkaufen der Stadt» weit über die Stadtgrenzen hinaus. Und es folgt: «the selling of the city as a location for activity depends heavily upon the creation of an attractive urban imagery”. Das Vorhaben kann im Erfolgsfall positive Auswirkungen auch nach innen haben: «a sense of social solidarity, civic pride and loyalty to place and even allow the urban image to provide a mental refuge in a world that capital treats as more and more place-less”. Aber nicht unbedingt: “images and representations move the boundary between the visible and the invisible, or what can be heard and what cannot be heard, giving form to or denying urban problems and political issues”. Dies beschreibt die Basis der politischen Ökonomie der Stadtmarkenentwicklung.
Die Entwicklung einer Stadtmarke kann also grundlegend so beschrieben werden: «a promotional technique based on giving visibility and invisibility in a very selective way to different urban issues, landscapes and subjects”. Um diese Sozialtechnik zu analysieren, nutzt Vanolo die Metapher des Gespenstes («spectre» oder «ghost»). Diese sind sichtbar und unsichtbar («absent presence»), gehören zur Vergangenheit und sind aktuell präsent («absent past»), sie sind körperlos, haben aber körperliche Eigenschaften (z.B. ein Geschlecht), sie haben eine komplexe Beziehung zum Ort, sind konkret räumlich präsent, aber unbeeinflusst von globalen Ereignissen, sie sind freundlich oder angsterregend, sie werden sehr persönlich erfahren.
Markenentwicklung für eine Stadt (oder Region) ist dann ein gespenstisches Spiel. Ungewünschte Elemente werden zu Gespenstern erklärt und einige Gespenster (z.B. vergangene und verflüchtigte Identitäten, Stereotypen, Erinnerungen und Geschichten) werden zu Realitäten transformiert (Images, Stories, Slogans). Dieses Ansinnen ist komplex und anspruchsvoll: «certain bad connotations and stigmas connected to a place may be shadowed and obscured through city branding, but may not disappear, remaining in the air as ghostly presences”. Am Stadtimage arbeiten willkommene und unwillkommene Gespenster mit, wie beispielsweise soziale Medien, politische Aktivisten, oder Filmregisseure. Damit bleibt das Ergebnis der Entwicklung einer Stadtmarke notwendigerweise unvorhersehbar: «the presence of ghostly voices and ghostly presences makes it impossible to forecast, a priori, the outcome of a branding policy”. Gespenstische Heimatstädte.