Wunder dürfen vernünftigerweise auch von Olympischen Spielen nicht erwartet werden. Entsprechende Wunschvorstellungen sind offensichtlich dem Rausch der Partynacht geschuldet: «The success of the Paris Olympics cannot have no tomorrow» (Editorial in Le Monde, 12.8.2024). Wieder nüchtern klingt dies dann ganz anders: «No sporting event has ever solved a social malaise or a political crisis». Dies darf getrost als truism gelten. So taucht auch in der hymn of praise der New York Times (am 11.8.2024, verfasst vom Pulitzer-Preisträger Roger Cohen) die ernüchternde Feststellung auf (sie taucht im Text eher unter): «The Olympics have been a vacation from that [political] deadlock, but the idyll will not be lasting, and fundamental questions – such as who will run the government – will move front and center soon after the Games end». Die Kommentatorin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Michaela Wiegel, 11.8.2024) akzeptiert widerwillig, dass politische Wunder eher selten auftreten, schliesst aber ihre Lobeshymne mit der Überzeugung, dass Paris als bis dato «zutiefst verwundete Stadt» dank Olympia ein «glanzvolle[s] Comeback» gelungen sei.
Aus Markensicht enthalten diese überschwänglichen Loblieder zwei Behauptungen: (i) Olympische Spiele sind die Allzweck- und Wunderwaffe des Stadtmarketings und (ii) die Stadtmarke Paris erhebt sich in diesen Tagen dank der Olympischen Spiele wie Phönix aus der Asche. Unterstellt wird ein universeller positiver Wirkungsmechanismus zwischen dem Leuchtturmprojekt ‘Olympische Spiele’ (oder genereller: sportlicher Grossanlässe) und der Stärke der Stadtmarke: letztere gewinnt an internationaler Strahlkraft, wird attraktiver für aktuelle und potenzielle Bewohner*innen, Besucher*innen und Investor*innen.
Für den vorliegenden Fall muss widersprochen werden. Es liegt der bekannte Fall vor, bei dem die ‘Therapie’ (Imagebildung durch Leuchtturm-Projekte) die ‘Diagnose’ überdeterminiert (zu geringe Bekanntheit und ein defizitäres Image). Die Olympischen Spiele ‘lösen’ (vermeintlich) für Paris Probleme, die so gar nicht existieren (internationale Bekanntheit, Attraktivität für relevante, nicht zuletzt externe, Zielgruppen, Profil als Stadtmarke). Fundamentale Probleme der Stadtgemeinschaft (Segregation, Umweltverschmutzung, Verkehrsüberlastung) werden dagegen nicht einmal angegangen, geschweige denn nachhaltig gelöst.
Die Kritik am Olympischen Projekt Paris 2024 geht konzeptionell von folgender Diagnose aus (vgl. Häusler, Eric und Häusler, Jürgen: Wie Städte zu Marken werden. Springer Gabler, 2023, S. 142ff.): (i) Es liegt ein Problem vor, das nicht mit der Entwicklung einer Stadtmarke gemildert oder behoben werden kann. (ii) Die Stadtmarke erfordert gar keine Bearbeitung durch einen expliziten Prozess der Weiterentwicklung.
Paris ist als Stadtmarke hinreichend positiv bei den relevanten Zielgruppen besetzt (zur Position von Paris im globalen Städtewettbewerb: https://placebrandobserver.com/paris-sustainability-city-brand-strength-reputation/). Das Image der Stadt ist weitgehend intakt. Es ist wohl besser als die ‘tatsächliche’ Lage. Die Stadtmarke wird laufend von zahlreichen ‘Markenmacher*innen ohne entsprechende Absichten’ (von Filmemacher*innen über Romanautor*innen bis zu Journalist*innen) tatkräftig und kostenlos unterstützt.
Das modest proposal daher: Der Aufwand für eine explizite Bearbeitung der Stadtmarke (von der Überarbeitung des Stadtlogos bis zu Leuchtturmprojekten wie den Olympischen Spielen) lässt sich letztlich nicht begründen. Es sollten vorrangig entsprechende Anstrengungen unternommen werden, um die Situation on the ground zu verbessern, bevor aufwändige Markenprojekte opportun erscheinen könnten.