Die Stadt als Marke. (2/6)

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Eine Serie von sechs Beiträgen.

Es dürfte der Traum jeder ambitionierten Markenmacher*in sein: eine Stadt zu einer starken Stadtmarke zu machen. Ganz sicher eine hochgradig faszinierende Aufgabe. Aber ist es realistisch, dass Städte zu Marken gemacht werden können? Noch weitergehender: Ist es wünschenswert, dass Städte zu Marken gemacht werden?

Adressiert werden diese Fragen in sechs Beiträgen, die fortlaufend in the Business of Brand Management erscheinen. Die Beiträge sind jeweils Ausschnitte aus Häusler und Häusler: Wie Städte zu Marken werden, Springer Gabler 2023 https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-41456-6 (englische Fassung 2024 https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-43776-3). Die Beiträge sind jeweils leicht gekürzt und bearbeitet.

Die Stadt als Konzept.

Die (wissenschaftliche) Literatur zur Stadt füllt ganze Bibliotheken und kann hier natürlich nur höchst selektiv und weitgehend oberflächlich betrachtet werden. Um als Markenmacher*in dem ‚Produkt‘ Stadt konzeptionell näher zu kommen (den Eigenschaften, Leistungen und Funktionen, dem Nutzen) erscheinen folgende Fragestellungen hilfreich: Welche (‚Produkt‘-)Gestalt nehmen Städte im Sinne von Kennzahlen, physikalischen Merkmalen oder Raumdimensionen an (als geografische Fixpunkte, gestaltete Flächen oder als bebauter Raum)? Welche Angebote machen Städte und welche Rollen spielen Städte (die Anbieter*innen des ‚Produkts‘) im Lauf der Geschichte und im gegenwärtigen Zeitalter der Globalisierung? Welche Akteur*innen und Prozesse sind für die Gestaltung der Stadt jeweils maßgebend?

Aus sechs Blickwinkeln wollen wir uns bei der Erkundung dieser Besonderheiten hier dem generellen Phänomen Stadt und den spezifischen Merkmalen einzelner Städte nähern. Die ersten beiden Sichtweisen eröffnen das breite Spektrum zwischen facts und fiction. Die folgenden vier Sichtweisen reichen von historischen (von der Kunst- bis zur Stadtgeschichte) (eher) analytischen (den Gegensatz von gebautem und sozialem Raum widerspiegelnd) bis zu (tendenziell) präskriptiven (die Stadt als soziale Konstruktion und damit als gestaltbarem Objekt) Ansätzen:

  • Am Anfang der Reise stehen auf den ersten Blick triviale Merkmale: Quantitäten (etwa Geodaten, Einwohnerzahlen, Flächenausdehnungen) und Qualitäten (beispielsweise Funktionen) sollten die Stadt als allgemeine Kategorie ebenso wie eine spezifische Stadt als identifizierbare Einheit hinreichend präzise definieren können – eigentlich. Städte (als Kategorie und als ‚Einzelfall‘) bleiben allerdings am Ende äußerst komplexe Objekte (auch und insbesondere im Hinblick auf die Bemühungen zur Entwicklung von Stadtmarken).

Foto: Wolfgang Fach

  • Städte und das Städtische sind immer wieder Gegenstand literarischer (künstlerischer) Verarbeitungen. Es werden dann sehr plastische und pointierte (wenn auch natürlich persönlich geprägte) Hinweise auf die Besonderheiten einzelner Städte gegeben. Zum Teil erfolgen diese so detailliert, dass sie bei Interesse auf den entsprechenden Stadtplänen konkret nachvollzogen werden können. Oder es wird vage das Leben in Städten mit spezifischen Lebensgefühlen, -welten oder -stilen in Verbindung gebracht. Als ausdrucksstarke Kunstwerke (als von Künstler*innen geschaffene Zeichen, Bilder, Texte) sind Städte und Marken durchaus wesensverwandt, Künstler*innen und Stadtmarkenmacher*innen sind jedoch bestenfalls distant cousins
  • Ebenfalls komplex bleibt das Bild, wenn die Entwicklung des Städtischen historisch betrachtet wird. Neben der Geschichte der Urbanisierung ist auch diejenige von einzelnen Städten von Interesse. Auch in historischer Perspektive tritt das ambivalente Verhältnis zwischen Entwicklungsprozess und -ergebnis zutage: Zwar werden (einige) Städte zu mächtigen Mythen (darin besonders erfolgreichen Marken sehr ähnlich) aber im Sinne geronnener Geschichte hat deren Entstehung wenig gemeinsam mit dem, was Markenentwicklung genannt werden könnte.
  • Natürlich ist die Stadt als soziales Phänomen vielfach Gegenstand (neben der geschichtswissenschaftlichen) weiterer wissenschaftlicher Betrachtungen. Unternommen werden unterschiedliche (soziologische, politologische und ökonomische) Versuche, dieses Phänomen auf den Begriff zu bringen, kategorial zu fassen oder theoretisch zu durchleuchten. Zwar gewinnen Städte in diesen Betrachtungen umfangreiche gesellschaftliche Bedeutung. Bemerkenswerte Spielräume für die Gestaltung von Stadtmarken ergeben sich in dieser Perspektive eher nicht.
  • Städte waren (und sind) vielfach Gegenstand sehr konkreter Gestaltungsversuche. Grundlegende Umgestaltungen oder grandiose Neugründungen von Städten sind meist mit totalitären Herrschern (kaum Herrscherinnen) verbunden. Die moderne Stadt ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts das Objekt der Arbeit verschiedenster Berufszweige (Ingenieur*innen, Architekt*innen, Stadtplaner*innen). Diese Akteur*innen (urbanists) streben im wahrsten Sinne des Wortes danach, die Gestalt von Städten nach ihren Vorstellungen zu formen. Interessanterweise unterbleiben dennoch entsprechende Anstrengungen, auch das Image (das Fremdbild) von Städten explizit und professionell zu prägen. Nichtsdestotrotz ergeben sich zwischen diesen Designer*innen der modernen Stadt und Stadtmarkenmacher*innen sehr konkrete Anknüpfungspunkte. • Schließlich nähern sich einige wissenschaftliche Betrachter*innen des Städtischen mit ihren noch immer abstrakten Überlegungen deutlich(er) den praktischen Anliegen des Markenmachens: Unterscheiden sich einzelne Städte in ihren internen und externen Wahrnehmungen voneinander? Wenn ja: Wie lassen sich diese Unterschiede definieren? Und: Lassen sich diese Unterscheidungen intentional und zielgerichtet herbeiführen? Anschlussfähig sind Versuche, Stadtmarken zu entwickeln, im besonderen Masse an diese wissenschaftlichen Analysen. Hier wird die Existenz von zentralen Voraussetzungen für die Entwicklung von Stadtmarken wissenschaftlich postuliert: Die Stadt tritt als (in gewissem Masse) autonome Akteur*in auf, mit (hinreichend) unterscheidbaren Identitäten und mit (unterschiedlichen und bedeutenden) Gestaltungsoptionen.
27. Januar 2025

Dr. Eric Häusler ist Historiker und Urbanist. Sein aktuelles Forschungsprojekt am Insitut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) an der ETH Zürich ist einem Vergleich vergangener urbaner Zukunftsvorstellungen in Tokyo und New York in den 1960er-Jahren gewidmet. Als Gastwissenschaftler war er unter anderem an der Sophia University in Tokyo, an der New School for Social Research und der New York University. Zu seinen weiteren Forschungsschwerpunkten gehören die kritische Auseinandersetzung mit Fragen des Stadtmarketings und das wachsende Feld der Global Urban History.

 

Prof. Dr. Jürgen Häusler ist Honorarprofessor für strategische Unternehmenskommunikation an der Universität Leipzig. Bis zum Eintritt in den Ruhestand 2015 war er Chairman bei Interbrand Central and Eastern Europe, und hat Unternehmen und Organisationen weltweit bei der Entwicklung von Marken beraten. Als Sozialwissenschaftler hat er u.a. am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln gearbeitet.

Kontakt: juergenghaeusler@gmail.com

 

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