Schöne neue Welt in Trümmern (2)
Die willigen Vollstrecker
In den Anfängen der digitalen Medien vermarkteten sich die Pioniere noch als Heilsbringer einer Welt ohne Grenzen. Heute erweisen sie sich als die willigen Totengräber von Freiheit, Demokratie und Wissenschaft. Ob Elon Musk, Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Tim Cook oder Sundar Pichai. Sie alle mutierten auf ihren Plattformen und in ihren Unternehmen zu Trumps Wendehälsen. Bereitwillig stellen sie sich gegen jene Werte, die sie gestern noch, weil opportun, auf ihre Fahnen schrieben.
Auf die Frage, wie gefährlich Elon Musk mittlerweile sei, antwortete der Medienwissenschaftler Bernhard Pörsken in einem Interview mit dem Tagesspiegel: „Er ist in der Verquickung von ökonomischer, politischer und digitaler Macht die Symbolfigur einer neuen Zeit, Schattenpräsident und Trump-Flüsterer, ein Journalismus-Verächter und Rechts-Libertärer, der massiv versucht, Wahlen zu beeinflussen.“ Musk´s Nichtanerkennung irgendwelcher Grenzen, seien es ökonomische, ökologische oder moralische, treibt ihn wohl auch dazu, seine Desinformations-Postings bevorzugt in die Timeline seiner Plattform mit über 200 Millionen X-Followern hineinzudrücken.
Unweigerlich kommen einem Ghandis Worte in den Sinn: „Die Welt hat genug für die Bedürfnisse vieler. Aber die Welt hat nicht genug für die Gier weniger.“
Was bleibt, wenn sich der Horizont nur noch zu verdunkeln scheint? Überwältigt von apokalyptischen Nachrichten verkümmert nicht nur unsere Hoffnung und unsere Zuversicht. Zunehmend schwindet die Kraft, woraus wir positive Vorstellungen von unserer Zukunft schöpfen, ob als Gesellschaft, als Unternehmen oder als Mensch.
Dabei gibt es keine spannenderen und inspirierenderen Momente als gemeinsam Visionen für eine positive Zukunft zu entwickeln. Unternehmen transportieren über ihren Auftritt und ihre Marken ihre Zukunftsfähigkeit und ihre Innovationskraft. Um Mitarbeiter für einen gemeinsamen Weg in die Zukunft zu begeistern, braucht es eine gemeinsam Vorstellung, wohin sich das Unternehmen entwickeln will. Menschen brauchen Geschichten und Ideen, die sie in die Zukunft tragen, um Wege in ein Morgen zu entwickeln, in dem wir nicht Opfer, sondern Gestaltende sind. Was also hält uns davon ab, zu tun, was uns am Ende Handlungs- und Entscheidungsfreiheit gibt, was Sinnhaftigkeit und Zuversicht vermittelt?
Robert Shiller, Wirtschaftökonom und Nobelpreisträger, überraschte die Welt der Ökonomen mit der Erkenntnis, dass Zahlen, Fakten und rationale Erwägungen weitaus weniger Einfluss auf unsere Entscheidungen haben und die traditionelle Ökonomik, die den Menschen als rationalen Optimierer betrachte, sich als großer Irrtum erweist. „Unter dem Begriff narrative Wirtschaft verstehe ich das erforschen von populären Erzählungen, die sich wie eine ansteckende Krankheit verbreiten. Ich nenne sie ökonomische Narrative. Einzig sie haben Einfluss darauf, welche wirtschaftlichen Entscheidungen Menschen treffen, wie sie sich selbst die Welt erklären, was Ihnen wichtig ist und wo sie Gefahren sehen – also letztlich ihr gesamtes Denken.“
Ähnlich der Frage, in welcher Zukunft wir leben wollen, geht es also darum, zu verstehen, an welchen Erzählungen wir unbewusst festhalten, solange noch Zeit bleibt, sich für oder gegen eine Entwicklung zu entscheiden. Vergils Warnung, „fugit inreparabile tempus“, dass „die Zeit unwiederbringlich flieht“, trifft mehr denn je zu. Halten wir an all den zerstörerischen Narrativen und Glaubensgrundsätzen weiterhin fest und erkennen nicht, dass Leugnen, Wegschauen und milliardenfache FakeNews uns immer tiefer in die Irre führen, schließt sich das Fenster des Handelns.
Der Beitrag gehört zu einer Reihe von Rückblicken.