Warnung: Nation Branding kann zu Realitätsverlust führen.
Jessica Gienow-Hecht gilt als eine der profiliertesten Historikerinnen auf dem Feld der transnationalen Kultur- und Außenpolitik. Umso gespannter dürfen Markenexpert*innen auf ihr neues Buch sein: Vom Staat zur Marke. Die Geschichte des Nation Branding (Stuttgart 2025). Der Titel verspricht viel – nämlich eine ernsthafte historische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Nation Branding, eingebettet in den Wandel staatlicher Selbstdarstellung. Und er weckt Hoffnung: Das Markenkonzept scheint endgültig auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften angekommen zu sein.
Jessica Gienow-Hecht gilt als eine der profiliertesten Historikerinnen auf dem Feld der transnationalen Kultur- und Außenpolitik. Umso gespannter dürfen Markenexpert*innen auf ihr neues Buch sein: Vom Staat zur Marke. Die Geschichte des Nation Branding (Stuttgart 2025). Der Titel verspricht viel – nämlich eine ernsthafte historische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Nation Branding, eingebettet in den Wandel staatlicher Selbstdarstellung. Und er weckt Hoffnung: Das Markenkonzept scheint endgültig auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften angekommen zu sein.
Es wird viel Richtiges und Wichtiges gesagt und gefragt: Woher kommt das allgegenwärtige „Interesse an der Nation als Marke“? Handelt es sich dabei nicht schlicht um Etikettenschwindel: „‘Nation Brand‘ ist also ein altes Konzept mit einer langen Geschichte und einem neuen Namen.“ Und das „zentrale Anliegen dieses Buches“ ist durchaus begrüßenswert: „die Dynamiken und Risiken heutiger nationaler Markenbildung als Instrument gewaltloser Macht besser zu verstehen.“
Doch schon die vorausgeschickte „einfache Kernbotschaft“ lässt massive Zweifel aufkommen: „Seit dem Ersten Weltkrieg hat sich die Nation zu einem Markenprodukt entwickelt, die bis zum Fall des Eisernen Vorhangs von staatlichen Regierungen erheblich ‘bespielt‘ wurde. Seitdem allerdings tun sich insbesondere liberale Demokratien zunehmend schwer mit dieser Aufgabe. Das ist gefährlich, denn gleichzeitig nutzen viele autoritäre Staaten den Nation Brand geschickt für die Durchsetzung ihrer eigenen, undemokratischen Ziele. Demokratische Staaten müssen sich deshalb wieder deutlicher profilieren.“ Man muss innehalten: Die Nation als Markenprodukt? Der Staat als Werbeagentur? Autoritäre Staaten als erfolgreiche Markenprodukte? Liberale Demokratien als scheiternde Markenprodukte? Profilierende Werbung zur Stärkung der Demokratie? Staatliche Markenkommunikation als Frage der nationalen Sicherheit? Geopolitische Konkurrenz als internationaler Markenwettstreit? Gesellschaftsanalyse als Marketinggeschichte? Werbekritik als Demokratiekritik? Das alles ist als Marketing-Speak bekannt. Aber als Ergebnis kritischer historischer Analyse? Gesellschaftsanalyse, so suggeriert das Buch, lässt sich offenbar durch die Logik von Kampagnen, Claims und Imagewerten ‘erzählen’.
Begriffliche Unschärfen durchziehen das gesamte Buch. Staat und Nation werden auf etwa zwei Seiten höchst oberflächlich „erläutert“. Nation Brand wird vollkommen unkritisch übernommen – ausgerechnet von einschlägigen Markenberatern wie Simon Anholt (dem „Erfinder“ des Nation Branding) und entsprechenden Agenturen und Beratungsunternehmen – und gleichgesetzt mit hintersinnigen Namensgebungen, vielversprechenden Slogans, attraktiven Logos, sportlichen Großveranstaltungen und klugen Werbestrategien und -kampagnen, die interessante kulturelle Attribute kommunizieren und negative Eindrücke entkräften. Immerhin wird angemerkt: „Das Ganze klingt einfacher, als es ist.“ Doch diese Einsicht bleibt für ihre Analyse folgenlos.
Vor diesem Hintergrund hätte es einer historisch und theoretisch fundierten kritischen Auseinandersetzung mit dem Markenbegriff bedurft – gerade um seine Übertragung auf das Politische analytisch einzuordnen. Stattdessen wird er unkritisch, weitgehend im Jargon der Markenwelt und ganz im Sinne einschlägiger Werbe-Apologeten verwendet. Dabei verengt sich das Verständnis von Marke auf ein simplifiziertes Gleichsetzen von Markenentwicklung und Werbung. Nation Branding erscheint als lineares Kommunikationsgeschehen: Werbekampagne gleich Imagewandel. Exemplarisch dafür steht die Deutung des „Sommermärchens 2006“ und der Kampagne „Deutschland – Land der Ideen“, die, so Gienow-Hecht, „fast über Nacht“ (und fast allein) ein neues Deutschlandbild geschaffen habe. Und es bleibt nicht bei Deutschland: „Heute geben Regierungen auf der ganzen Welt Millionen für den ‘Nation Brand‘ aus“, heißt es weiter – und betriebener Aufwand wird von der Autorin umstandslos mit politischem Erfolg gleichgesetzt. Schließlich tritt neben das Nation Branding auch das „staatenlose Branding“ („auf substaatlicher und supranationaler Ebene“), und es begegnen uns so die „Marken Palästina, Katalonien, NATO, EU, Afrikanische Union, Mittlerer Osten“ usw. usf.
An keiner Stelle wird hinterfragt, was „Marke“ in diesem – politischen – Kontext eigentlich bedeutet und ob sich Nationen überhaupt wie Produkte inszenieren lassen, ohne ihre politischen, sozialen und historischen Widersprüche zu ignorieren. Der Begriff „Marke“ dient als schillerndes Etikett für das, was andernorts „Soft Power“ oder „Public Diplomacy“ heißt – oder was die Autorin selbst in ihren „Streiflichtern“ im Großteil ihres Buches meist essayistisch und unterhaltsam als staatliche „kulturelle Imagepflege“ (vulgo: „Image aufmöbeln“), „staatliches Imagemanagement“, „kulturelle Selbstdarstellung“ oder „auswärtige Kulturpolitik“ historisch nacherzählt. Sie erzählt diese Geschichte weitgehend anekdotisch, vereint höchst unterschiedliche Phänomene unter einem Dach – und konstruiert eine klare Periodisierung: „Vom Zeitalter der Revolutionen bis zum Ersten Weltkrieg“ herrscht ein ungesteuertes Stimmengewirr einer großen Zahl nicht-staatlicher Akteur*innen, danach kommt es zur Geburtsstunde des Nation Branding, zur „‘Verstaatlichung‘ der Markenwerbung“: „So wurde der Staat nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zur prinzipiellen Werbeagentur der Nation.“ Zugespitzt – und in der Gleichsetzung totalitärer Staatsgewalt mit marktförmiger Konsumlogik hochgradig irritierend – heißt es: „Der Faschismus verwandelte den Staat in ein scharf kontrolliertes Konsumprodukt.“
Gerade aus Sicht einer kritisch reflektierten Markenforschung enttäuscht die Studie insgesamt. Vor allem, weil der Markenbegriff nicht ernst genommen, sondern verkürzt, affirmativ und theorielos eingesetzt wird, wo er als analytisches Werkzeug dienen könnte: zur Differenzierung symbolischer Praktiken, zur Kritik politischer Kommunikationsstrategien und zur Reflexion der Machtwirkungen von Images. Denn Marke ist kein dekorativer Begriff, sondern ein durchaus wirkungsmächtiges strategisches Konzept – ein Instrument der Bedeutungsverdichtung mit machtvollen Effekten: Marken steuern Wahrnehmung, formen Verhalten, strukturieren soziale Erwartungen und schaffen im Erfolgsfall soziale, politische und ökonomische Realitäten. In der politischen Sphäre von Staaten wird daraus der Versuch, komplexe nationale Identitäten in steuerbare Images zu überführen – und dabei Widersprüche auszublenden, Ambivalenzen zu glätten, Konflikte als Konsens darzustellen.
Statt einer weiteren (wissenschaftlich verkleideten) Apologie des Konzepts wäre eine kritische Untersuchung von Nation Branding nötig, die den Begriff der Marke ernst nimmt – nicht nur als Kommunikationsinstrument, sondern als ökonomisches (Wertschöpfung und Standortfaktor), semiotisches (Bedeutungsordnung und Symbolpolitik) und vor allem politisches (Machttechnik und Steuerungsinstrument) Konstrukt. Eine Forschung, die unter anderem danach fragt: Worin liegt die Popularität des Markenkonzepts im politischen Raum begründet? Warum wird in der jüngeren Geschichte ausgerechnet „Marke“ zum Leitbegriff staatlicher Selbstverständigung? „Nation Branding“ – wie könnte eine kritische Begriffsgeschichte aussehen? Und vor allem: Was geschieht mit dem Politischen, wenn es beginnt, in den Begriffen des Marketings zu denken, zu sprechen und zu handeln? Wird Aushandlung durch Management ersetzt? Mutiert politische Öffentlichkeit zu Zielgruppen-Ansprache? Werden Konflikte zur Konsenssimulation? Es wäre an der Zeit, nicht nur die Erscheinungsformen des Nation Branding zu analysieren, sondern dessen implizite politische Theorie.
Noch bedeutender vielleicht: Das Problem liegt nicht bei Gienow-Hecht allein. Ihr Buch steht exemplarisch für ein wachsendes Unbehagen an der einschlägigen Forschung: Einerseits wird Nation Branding zunehmend als Phänomen anerkannt – etwa in Internationalen Beziehungen, Kulturwissenschaft, Kommunikationsforschung. Andererseits fehlt in der Regel jede empirische Sorgfalt und theoretische Anstrengung im Umgang mit dem Markenbegriff. Was bleibt, ist ein leeres Vokabular, das kritische Analyse durch Werbesprech ersetzt.
Wenn die Nation zur Marke wird, wird Politik zur Inszenierung. Im günstigsten Fall ist das Verschwendung – etwa von öffentlicher Aufmerksamkeit oder öffentlichen Ressourcen. Im schlimmsten Fall wird es gefährlich – wenn dominante Deutungsmuster politische Entwicklungen stützen, die gesellschaftliche Diversität ausblenden, Konflikte unterdrücken und Einheit vortäuschen. Eines aber ist es nie: harmlos. Besonders für jene wissenschaftlichen Arbeiten, die Begriffe aus dem Marketing naiv übernehmen, ohne deren Herkunft zu reflektieren und ohne deren Funktion im Politischen zu beleuchten.
Daher unser modest proposal zum Schluss: Wenn schon Nation Branding, dann bitte mit Warnhinweis – ähnlich den Pflichttexten auf Zigarettenschachteln. Etwa so: „Nation Branding kann zu Realitätsverlust führen.“ Mit möglichen Nebenwirkungen wie: Verwechslung von Image und Inhalt. Ersatz politischer Analyse durch PR-Rhetorik. Historische Tiefe im PowerPoint-Format. Und nicht zuletzt: akute Theorielücken. Schließlich: Die unsachgemäße Verwendung des Begriffs Marke kann Ihrer wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit schaden.