Kriegerische Zerstörung und steigende Markenwerte

A MODEST PROPOSAL
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Krieg und Marke. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch wirkt, sollte als Symbiose gelesen werden. Krieg zerstört Werte, Marken schaffen sie. Und doch sind beide enger miteinander verbunden, als es moralisch angenehm wäre. Drei Schlagzeilen aus dem Jahr 2025, die wie beiläufige Nachrichten daherkommen, erweisen sich bei näherem Hinsehen als Ausdruck einer veränderten Normalität. Am 5. September 2025 berichtet die New York Times, dass Präsident Donald Trump per Executive Order die Umbenennung des Department of Defense in „Department of War“ autorisierte – ein semantischer Akt, der weniger verändert als offenlegt. Wenige Monate zuvor meldet dieselbe Zeitung, dass der Investor Peter Thiel in einen europäischen Rüstungskonzern eingestiegen ist, ausdrücklich begründet mit dem rasanten Anstieg der Militärausgaben und der Neubewertung von Sicherheit als Wachstumsmarkt. Und schließlich berichtet die New York Times im Dezember 2025, dass die US-Regierung Investoren konkrete Angebote und Planungsdokumente für den Wiederaufbau des weitgehend zerstörten Gazastreifens übermittelt habe – als groß angelegtes Infrastruktur-, Immobilien- und Entwicklungsprojekt nach dem Krieg. Diese drei Meldungen erzählen keine Geschichte von Ausnahmen, sondern von Normalisierung.

Krieg ist institutionalisiert. Er organisiert politische Ökonomie, indem er Haushaltsprioritäten verschiebt, Industrien strukturiert und staatliche Eingriffe legitimiert. Die globalen Militärausgaben erreichten 2024 erstmals deutlich über 2,4 Billionen US-Dollar und wachsen seit Jahren schneller als die Weltwirtschaft; sie bewegen sich damit inzwischen in derselben Größenordnung wie die staatlichen Bildungsausgaben weltweit. In Europa stiegen sie seit 2021 real zweistellig, in den USA liegen sie stabil bei rund 3,5 Prozent des BIP, und in den meisten NATO-Staaten gilt die Zwei-Prozent-Marke nicht länger als Ziel, sondern als Untergrenze. Diese Entwicklung ist parteiübergreifend, generationenübergreifend und weitgehend entkoppelt von klassischen Sparlogiken. Schuldenbremsen gelten, bis es um Sicherheit geht – dann werden sie ausgesetzt, umdefiniert oder politisch neutralisiert. Krieg ist anschlussfähig geworden: an Kapitalmärkte, die Rüstungsunternehmen mit überdurchschnittlichen Renditen belohnen; an Innovationsnarrative, in denen militärische Forschung als Technologietreiber firmiert; und an Standortpolitik, die Sicherheit zur Voraussetzung von Wettbewerbsfähigkeit erklärt. Verteidigung ist kein defensiver Begriff mehr, sondern ein expansiver. Das Geschäft blüht, weil es politisch gewollt, gesellschaftlich akzeptiert und kommunikativ professionell gerahmt ist. Krieg verkauft sich als Stabilitätsversprechen in einer instabilen Welt.

Zerstörung bedingt zerstörerische Produkte – und Marken. Wo Zerstörung systematisch betrieben wird, entstehen Märkte für immer effizientere Mittel der Zerstörung. Dieser Markt ist in erster Linie ein Business-to-Business-Markt, mit dem Staat als nahezu exklusivem Auftraggeber. Panzer, Drohnen, Raketenabwehrsysteme oder Cyberwaffen werden nicht spontan gekauft, sondern in langwierigen Beschaffungsprozessen, politisch legitimiert, parlamentarisch flankiert und strategisch begründet. Genau hier beginnt die Rolle der Marke. Systeme von Lockheed Martin, Rheinmetall oder BAE Systems stehen nicht nur für technische Leistungsfähigkeit, sondern für Verlässlichkeit, Interoperabilität, Bündnisfähigkeit. Marken sind Vertrauensanker in einem hochsensiblen, politisch aufgeladenen Markt. Zugleich zeigt die Geschichte, dass manche Waffensysteme den reinen BtB-Kontext verlassen und kulturell diffundieren. Der Rüstungskonzern Kalaschnikow hat mit der AK-47 früh vorgemacht, was es heißt, wenn ein zerstörerisches Produkt zum global wiedererkennbaren Markenzeichen wird – robust, billig, ikonisch. Auch heutige Systeme, etwa militärische Drohnen oder Überwachungstechnologien, finden ihren Weg in zivile Anwendungen, in Polizeiarbeit, Grenzsicherung oder private Sicherheitsmärkte. Zerstörung erzeugt Anschlussmärkte. Diese Produkte sind teuer, erklärungsbedürftig und moralisch sensibel. Genau deshalb sind sie auf Reputation angewiesen. Vertrauen wird zur zentralen Ressource. Wer Waffen liefert, liefert nicht nur Technik, sondern politische Zuverlässigkeit, rechtliche Absicherung und moralische Entlastung. Marke wird zur Voraussetzung von Geschäftsfähigkeit. Sie übersetzt Gewalt in Professionalität, Tod in Technologie, Eskalation in Innovationslogik. Je destruktiver das Produkt, desto größer der kommunikative Aufwand, es als notwendig, alternativlos und rational erscheinen zu lassen.

Zerstörtes schafft Raum für Wiederaufbau – und Markenexpansion. Zerstörung ist nicht das Ende der Wertschöpfung, sondern ihr Übergang. Wo Städte, Infrastrukturen und Lebensräume vernichtet werden, öffnen sich Räume für Neuordnung, Neugestaltung und Neuinvestition. Der Wiederaufbau ist die zweite Ernte des Krieges. Er verlangt nach Planung, Kapital, Logistik – und nach Bildern einer besseren Zukunft. Hier treten Marken auf den Plan. Globale Bau- und Infrastrukturkonzerne wie Vinci, Hochtief oder Bechtel stehen exemplarisch für die physische Rekonstruktion von Straßen, Häfen, Energie- und Wassersystemen. Mobilität und Verkehr werden durch Systemanbieter wie Siemens Mobility oder Alstom organisiert, die weltweit für standardisierte, skalierbare Infrastrukturlösungen stehen. Parallel dazu entstehen neue Märkte für Wohnen, Tourismus und Konsum. Internationale Hotelketten wie Marriott International, Hilton oder Accor fungieren in vielen Wiederaufbaukontexten als Anker für Investitionen, Beschäftigung und symbolische Normalisierung. Wo neue urbane Zentren geplant werden, folgen Einkaufszentren, Retail-Formate und Erlebnisarchitekturen, getragen von globalen Immobilien- und Handelsmarken. Der Wiederaufbau wird damit nicht nur gebaut, sondern kuratiert. In diese Logik fügen sich auch Marken ein, die für Freizeit, Exklusivität und hochpreisige Lebensstile stehen. Golfplätze, Resorts und Gated Communities gehören regelmäßig zum Repertoire grosser Entwicklungsprojekte. Dass dabei auch Modelle denkbar sind, wie sie die Trump Organization international etabliert hat – Golfkurse als Anker für Immobilienentwicklung, Hotellerie und Tourismus –, ist weniger Ausnahme als ökonomische Routine. Golf fungiert hier als Infrastruktursymbol: flächenintensiv, sicherheitsbedürftig, kapitalstark. Es markiert den Übergang von der Kriegslandschaft zur Investorenlandschaft. Der Phönix aus der Asche ist damit kein Mythos. Er ist ein Business Case – mit Masterplan, Renditeerwartung und Corporate Design.

Zwischenfazit. Diese drei Bewegungen – Aufrüstung, Zerstörung, Wiederaufbau – bilden einen sich selbst verstärkenden Kreislauf. In ihm entsteht ein Umfeld, in dem starke Marken überdurchschnittlich profitieren. Sie übernehmen Funktionen, die weit über klassische Differenzierung hinausgehen. Marken stabilisieren Erwartungen in Situationen radikaler Unsicherheit, sie reduzieren politische und administrative Reibungskosten und machen komplexe, moralisch aufgeladene Entscheidungen kommunizierbar. Wo Gewalt eskaliert, liefern sie Kontinuität; wo Ordnung zerfällt, versprechen sie Struktur. Indem Marken Krieg, Zerstörung und Wiederaufbau in vertraute Narrative übersetzen – Sicherheit, Innovation, Nachhaltigkeit, Zukunftsfähigkeit –, verwandeln sie existenzielle Gewalt in ökonomische Normalität. Sie entpolitisieren das Töten, indem sie es professionalisieren, technisieren und in Geschäftsmodelle einbetten. Das Geschäft mit dem Tod expandiert nicht im luftleeren Raum, sondern ist begleitet von Marken, die es strukturieren, legitimieren und anschlussfähig machen. In der Gegenwart geschieht das bevorzugt unter dem wohlklingenden Etikett des Purpose. Was früher als Machtpolitik oder Rüstung firmierte, erscheint nun als Beitrag zu Resilienz, Verantwortung oder Zukunftssicherung. Purpose fungiert dabei weniger als moralischer Kompass denn als sprachliche Weichzeichnung. Er überzieht das Harte mit Sinn, versieht das Destruktive mit Absicht und verwandelt strukturelle Gewalt in eine Frage der richtigen Haltung. Marke wird so zum Ordnungsfaktor im Ausnahmezustand – nicht, weil sie Orientierung stiftete, sondern weil sie Unordnung handhabbar macht. Stabilität entsteht in dieser Logik nicht trotz permanenter Instabilität, sondern aus ihr.

All dies ist natürlich kein neues Phänomen. Es erinnert an einen Klassiker der marxistischen Gesellschaftsanalyse aus der Endphase des Nachkriegsbooms: Paul A. Baran und Paul M. Sweezy, Monopolkapital. Ein Essay über die amerikanische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung (Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt, 1970). In ihrer Analyse des Monopolkapitalismus vertreten sie die These, dass reife kapitalistische Ökonomien strukturell zu Überschüssen neigen, die nicht mehr produktiv absorbiert werden können. Um Stagnation zu vermeiden, benötigt das System Ventile: Rüstung, Krieg, gigantische staatliche Ausgaben. Der militärisch-industrielle Komplex erscheint in dieser Perspektive nicht als Fehlentwicklung, sondern als funktionale Lösung. Der (schwer verdauliche) theoretische Leckerbissen für Genießer marxistischer Wirtschaftstheorie liegt im Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate. Wenn Produktivität steigt, Kapital sich verdichtet und Märkte gesättigt sind, gerät die Profitabilität unter strukturellen Druck. Krieg wirkt in dieser Logik wie ein radikaler Reset: Er vernichtet Kapital, erzwingt neue Nachfrage und öffnet temporäre Renditefenster. Hier setzen Marken an. Sie sorgen dafür, dass der durch Zerstörung ausgelöste ökonomische Impuls nicht episodisch bleibt, sondern verstetigt wird. Marken stabilisieren Erwartungen über den Moment der Vernichtung hinaus, dehnen Investitionshorizonte und binden staatliche Ausgabenprogramme in langfristige Geschäftsmodelle ein. Indem sie Krieg, Rüstung und Wiederaufbau narrativ rahmen – als Sicherheit, Innovation, Resilienz oder nachhaltige Entwicklung –, tragen Marken dazu bei, die Profitphase eines Systems unter Renditedruck zu stabilisieren. Sie übersetzen den Ausnahmezustand in Dauer, das Ereignis in Struktur. In diesem Sinne sind Marken keine Begleiterscheinung des militärisch-industriellen Komplexes, sondern Teil seiner Funktionsweise: Sie machen Zerstörung anschlussfähig, Wiederaufbau kalkulierbar und permanente Instabilität ökonomisch produktiv.

Am Ende: a modest proposal. Der FAZ Verlag legt Monopolkapital von Baran und Sweezy neu auf. Donald Trump schreibt das Vorwort – über Machtfantasien, Deals und die Kunst, persönliche Interessen als nationale Notwendigkeit auszugeben. Elon Musk steuert das Nachwort bei – über Tech-Messianismus, Größenwahn und die Logik der Kettensäge: Komplexität wird nicht verstanden, sondern zerlegt; Widersprüche nicht ausgehandelt, sondern durchtrennt. Das Buch wird Pflichtlektüre für Markenmacher*innen.

22. Dezember 2025
Ein Beitrag von:

Prof. Dr. Jürgen Häusler ist Honorarprofessor für strategische Unternehmenskommunikation an der Universität Leipzig. Bis zum Eintritt in den Ruhestand 2015 war er Chairman bei Interbrand Central and Eastern Europe, und hat Unternehmen und Organisationen weltweit bei der Entwicklung von Marken beraten. Als Sozialwissenschaftler hat er u.a. am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln gearbeitet.

Kontakt: juergenghaeusler@gmail.com

 

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