Ich gebe es zu. Ich bin auch eine von denen. Eine von diesen Beratern, die Marketing- und PR-Verantwortlichen seit Jahren rät, sich neuen Kommunikationsformaten und Techniken zu öffnen. Sich auf Storytelling einzulassen, zum Publisher zu werden und auf mehr Pull-, statt Push-Strategien zu setzen.
Klingt logisch. Logisch in einer Zeit, in der Marketing und Unternehmenskommunikation mit immer weniger Aufmerksamkeitsspanne bei der Zielgruppe rechnen können. Logisch, wo YouTube, Facebook und Co. einen Überfluss an Informationen bieten, die weder bewältigbar, noch glaubwürdig sind. Und wo Menschen sich mit Filter-Bubbles vor dem Content Schock schützen.
NOCH NIE WAR ES SO EINFACH …
Dringend sind also neue Kommunikationswege gefordert. Und die oben genannten Strategien – Storytelling, Publishing, Pull-Strategien – geben ja auch Hoffnung.
Noch nie war es so einfach für Unternehmen, Inhalte selbst zu publizieren und in das Mediengeschäft einzusteigen. Wie Santander. Die spanische Bank produzierte einen 15minütigen Science-Fiction-Film und sprach damit erstmals erfolgreich eine Generation an, die man eigentlich für das Bankengeschäft verloren sah. Mit Hilfe von Storytelling erzielte Santander die höchste Abschlussrate seit 160 Jahren und erreichte 35 Prozent seines Jahresgeschäftsziels in nur zwei Wochen. Storytelling etabliert sich als erfolgreiches Kommunikationsinstrument, besonders geeignet, um Zielgruppen der Generation Y und Z anzusprechen.
Und mit Storytelling ist für PR und Marketing nicht nur der Blick in die Zukunft möglich, sondern auch der in die Vergangenheit ist plötzlich wieder envogue. Die erste Autofahrt von Berta Benz wurde jüngst von Mercedes verfilmt – und holte gleich Preise. Und auch die ERSTE und Sparkassen in Österreich blicken 200 Jahre zurück und zeigen die erste Marie Schwarz, die erste Besitzerin eines Sparbuches.
BEI ALLER EUPHORIE …
Für diese neue Kommunikationswelt, haben wir eines übersehen: Storytelling funktioniert nicht mit alten Marketingrezepten. Ganz im Gegenteil. Manchmal ist Storytelling sogar genau das Gegenteil von Marketing. Laut proklamieren wir daher das Neue und Inspirierende an Stories, aber gleichzeitig hängen wir doch an tradierten Mustern und vertrauten, altbewährte Mechanismen:
Wir raten zum Publishing, und wollen doch nicht ablassen von der Kampagnendenke und dem guten, alten Marketingplan.
Wir sagen „Storytelling“ und machen dann doch wieder „Ankündigungskommunikation“ – nur dieses Mal hübscher und moderner – mit Bewegtbild und Social Media.
Wir propagieren Pull-Strategien, ignorieren aber, was relevant ist fürs Publikum und inszenieren statt dessen weiterhin, was relevant ist für Unternehmen und Marke.
Wir plädieren für gute Geschichten. Halten uns aber nicht an die wichtigste Regel: den Konflikt. Stattdessen propagieren wir lang und breit unsere Lösungen.
DAS IST … LANGWEILIG.
Dringend gesucht sind also neue Methoden. Neue Techniken, Modelle und vor allem Inspirationsquellen, die Stoff geben für gute Geschichten. Dringend gesucht sind Marketingmanager und Unternehmenssprecher, die die Prinzipien einer Story verstehen und diese im Unternehmen auch durchsetzen können. Dringend gesucht sind Filmemacher und Storyteller, die Marken verstehen und die Entscheidungsprozesse von Unternehmen durchschauen, um an der richtigen Stelle eine Storyidee durchfechten zu können.
Und alle zusammen brauchen vor allem eines: Budget – und Ressourcen. Die meistgestellte Frage in meinen Seminare ist: Was kann man für ganz wenig Geld machen? Was für eine Frage. Die gleiche Frage stellen Sie bitte im Mercedes- oder Porsche-Showroom und fragen nach einer SKlasse und einem 911er für eben für kleines Geld. Die gleiche Frage stellen Sie dann auch im Dior-Atelier und bei Prada. Am besten fragen Sie dort auch nach dem Schnittmuster, weil Sie das Kleid und die Tasche gerne selbst nähen wollen.
WERTSCHÖPFUNG DURCH BILLIGE STORIES. ERNSTHAFT?
Bitte hören wir doch auf so zu tun, als würde es Storytelling umsonst geben und man könne das einfach nebenher mitmachen. Storytelling ist nicht ein bisschen „creative writing“. Storytelling ist nicht einfach Smartphone zücken, Video aufnehmen und ein paar putzige gifs und Sticker einbauen.
Storytelling – besser gesagt – narratives Marketing ist eine umfangreiche, strategisch zu planende Kommunikationstechnik. Sie erfordert die Zusammenarbeit vieler Gewerke wie Text, Scriptwriting, journalistische Recherche und Dramaturgie. Dazu gehören Bildverständnis, Grafik und Animatioin, Mediengestaltung mit Schnitt, Licht- und Tontechnik. Vor allem aber strategisches Media- und Channel-Management.
Ja, man kann erfolgreiche Stories wunderbar nur mit Text keieren (jeder Schriftsteller kann das bestätigen und jeder erfahrene Content Manager auch). Ja, man kann Stories auch nur mit Bild und Grafik ausdrücken (jeder Fotograph, Graphik Novel Artist und Infografiker wird das unterschreiben). Und ja, eine Story entfaltet sich am besten mit Bewegtbild (Hollywood lässt grüßen). Eine Story kann ganz klein in Instagram und What´s App sein und ganz groß im Dokumentar- oder Spielfilm und noch größer im Feld des Experiencal Storyellings. Und ja, die Zielgruppe will nicht mehr nur passiv zusehen, sondern auch aktiv dabei sein. Daher sind Narrative und Geschichten in interaktiven und immersiven Formaten – im Entertainmentbereich, aber auch in Marketing und PR – so erfolgreich.
Aber all das kostet – ob klein oder groß – Geld und Ressourcen sind notwendig. Wer die nicht hat, muss um sie kämpfen. Und die überzeugen, die auf dem Geld sitzen. Billige Stories sorgen nicht für Wertschöpfung, sondern nur für Medienverstopfung. Und ich bin sicher, Ihre Konkurrenz schläft nicht – der Kampf um Aufmerksamkeit hat gerade erst begonnen.