The Business of Brand Management
EDITORIAL

Otl Aicher und Alexandre Wollner – Branding hoch zwei.

PROF. DR. KLAUS KLEMP

«Ein gutes Logo kann man mit dem großen Zeh in den Sand malen.»

Kurt Weidemann (Grafik-Designer, Typograf, Logo-Gestalter und Berater, 1922 – 2011).

Die Marke äußert sich zunächst durch die Marke selbst. Das Markenzeichen, das Logo, das Signet oder Neudeutsch den Brand, also das was dem Pferd oder der Kuh im Wilden Westen auf den Schenkel gebrannt wurde. Die Brandzeichen gehen zurück bis in das dritte Jahrtausend v.Chr. Mit einem Zeichen versehen wurde seitdem so allerhand: Amphoren, die Uniformen römischer Soldaten mit den Buchstaben „S.P.Q.R.“, (Senatus Populusque Romanus – Senat und Volk von Rom), die Ritter des Mittelalters mit umfangreicher Heraldik, Arbeiten von Silberschmieden und Steinmetzen oder Wasserzeichen in Papier. Von den Religionen gar nicht zu reden: Kreuz, Halbmond und Ying und Yang Zeichen sind starke Symbole bis heute. 

Albrecht Dürer maßte sich so manches christliche Zeichen für sich selbst an und entwarf mit seinem verschränkten A-D ein starkes Künstlersignet, das nicht wenig zu seinem wirtschaftlichen Erfolg beitrug. In der Politik gab es Hammer und Sichel (Arbeiter- und Bauernstaat) und Schlimmeres, wenn ein altes asiatisches Glückszeichen wie die Swastika für den deutschen Faschismus missbraucht wurde. Die italienischen Faschisten waren da immerhin „ehrlicher“, sie nutzten das altrömische Waffenbündel, die Fascis. 

Die englische Bierbrauerei Bass & Company nutzte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein rotes Dreieck als Markenzeichen, das 1876 zum ersten regierungsamtlich registrierten trademark wurde. Das war der Anfang einer rationalen, abstrahierenden Markenpolitik.

Eine alte Tradition des Markierens wurde so in der Industrialisierung zur gestalterischen Herausforderung, denn die neuen Markenprodukte und ihre Hersteller brauchen ein treffendes Logo. Das kommt dann auch bald mit der Pears Soap, dem Campbell’s, Coca Cola oder Kellogg’s Schriftzügen, die sich übrigens alle recht ähnlich sehen. 1926 kommt der Mercedesstern, schon 1917 das blau / weiße BMW Logo.

Es ist also verzwickt mit den Zeichen. Sollen sie ehrlich sein oder wollen sie die Empfänger täuschen, mehr Schein als Sein hervorrufen? Damals wie heute gab und gibt es wohl beides.

Hier soll von zwei außergewöhnlich erfolgreichen Logogestaltern aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts berichtet werden, von Otl Aicher und Alexandre Wollner. Den ersten kennt in Deutschland jeder Insider, den zweiten kaum jemand. In Brasilien ist es umgekehrt. 

Otl Aicher, Signet des Leuchten Herstellers ERCO, Lüdenscheid

Otl Aicher hat umfangreiche und konzise Corporate Designs für die Lufthansa entwickelt, für die Olympischen Spiele 1972, für ERCO und fsb, die Dresdner Bank oder das ZDF. Allen gemeinsam ist nicht nur ein treffendes Signet, sondern der Blick aufs Ganze und der Versuch einer gewissen Aufrichtigkeit.  Nachdem erstmals Peter Behrens von 1907 bis 1914 ein Corporate Design für die AEG entworfen hatte, war es Aicher, der in der Bundesrepublik bis heute als Vorreiter gilt. Behrens und Aicher war dabei eines gemeinsam, denn sie haben ihre Arbeit in direkter Zusammenarbeit mit der jeweiligen Unternehmensleitung erbracht. Das war auch bei Alexandre Wollner der Fall.

OTL AICHER

Otl Aicher, 1922 in Ulm geboren, tödlich verunglückt 1991 in Rotis im Allgäu, hätte eigentlich auch Philosophie studieren können. Aus einer Aufsteigerfamilie in Ulm stammend, der Vater emanzipierte sich vom MAN Arbeiter zum erfolgreichen Unternehmer eines Installateur-Unternehmens seit 1932, waren für ihn als Jugendlicher die Bücher wichtiger als das neue Bürgerliche der Familie. Wittgenstein, Nietzsche, Kierkegard, Thomas Morus hat er schon als Jugendlicher gelesen. In der Freundschaft mit den Kindern des liberalen Politikers Robert Scholl (1891-1973) erfuhr er seit 1939 eine zweite Sozialisation. Hier entwarf der praktizierende Reform-Katholik für sich ein Weltbild, welches das eigene aktive Handeln, das „Welt entwerfen“ in den Mittelpunkt stellte. Und: „das leben des menschen ist kein zwangsläufiger entwicklungsprozess, sondern ein entwurf. … der mensch ist kein biologisches, sondern ein kulturelles wesen.“ (Otl Aicher: Innenseiten des Kriegs. Frankfurt a.M. 1985, S. 32.).

Unterricht Aicher 21-2-56 (Quelle: Archiv Conrads, René Spitz Köln) Otl Aichers Unterricht an der HfG Ulm, im Hintergrund Almir Mavignier, rechts Alexandre Wollner.

Das war sicher seiner Nietzsche-Lektüre geschuldet. Die Hinrichtung der mit ihm befreundeten Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl und seine Ehe mit der älteren Schwester Inge Scholl waren Grundpfeiler einer Designhaltung, die nicht suggestiv überreden, sondern wahrhaftig sein wollte. Die Gründung der HfG Ulm 1953 war ja nicht nur als Designschmiede gedacht, sondern dahinter stand das Bestreben zu einer neuen demokratischen Gesellschaft beizutragen. Das äußerte sich zunächst im Aufbau der Volkshochschule Ulm, die damals außergewöhnliche Veranstaltungen anbot, die von ihm konzipiert wurden. Viele Literaten der Gruppe 47, des elaborierten Literaturzirkels der Zeit, haben dort vorgetragen: Eugen Kogon, Walter Dirks, Theodor Eschenburg, Dolf Sternberger, Luise Rinser, Marie-Elisabeth Lüders, Carl-Friedrich von Weizsäcker oder Alexander Mitscherlich.

Otl und Inge Aicher ging es um Inhalte und nicht nur um eine richtige Form. Das war auch der Nukleus der anschließend von ihnen zusammen mit Max Bill gegründeten Hochschule für Gestaltung. Da war die Form nie Selbstzweck, sondern Ausdruck des Inhalts. Geplante Fächer waren Politik, Presse, Rundfunk und Film, dann auch Werbung, Fotografie, Industrielle Formgebung, Stadtplanung, schließlich wurde es aber eine reine Gestaltungshochschule, allerdings mit einer angestrebten sozialen und kulturellen Verantwortung.

Piktogramm und Plakat München (Quelle: www.typolexikon.de) Otl Aicher, Piktogramm (Fußball) und Sportplakat, Olympische Spiele München 1972.

Aicher hat aus dieser ursprünglich ethisch fundierten Haltung später auch seine kommerziellen Aufträge behandelt. Seine Leidenschaft zum Kochen, das er vor allem auch als kommunikativen Vorgang, als Teil des Designprozesses betrachtete, führte seit 1980 zu eine fruchtbaren Zusammenarbeit mit Gerd Bulthaup, bei der schließlich die „Küchenwerkbank“ als neuer Typus entstand. Die schlanke Schriftmarke korrespondiert dabei mit den Kochwerkzeugen. 

Etwas weniger intensiv war zu Beginn seiner Tätigkeit der Kontakt zur Frankfurter Elektrofirma Braun, der er aber schon sein kreatives Denken in Gestaltungsrastern verordnete, welches dann hausintern aufgegriffen und in der Werbung und im Package Design von Wolfgang Schmittel (1930-2013) sehr erfolgreich weiterentwickelt wurde. 

Der erste große Auftrag war aber fraglos das Erscheinungsbild für die Lufthansa seit 1962. Aicher bezeichnete die damaligen Flugzeuge als „angezogen wie Jahrmarktsverkäufer“, und entwickelte erstmals ein umfassendes Corporate Design. Ziel war „Werbung um Kundenvertrauen – ohne Worte“. Das hat auch bis heute durchaus gut funktioniert. Jedoch wird es gegenwärtig gerade demontiert. Die Kombination der Komplementärfarben Blau und Gelb und das charakteristische Seitenleitwerk mit dem „Spiegelei“, also dem gelben Kreis inklusiv Kranich auf blauem Grund ist fraglos das einprägsamste und erkennbarste CD aller Fluggesellschaften. Jede Maschine wird so schon im Anflug erkannt und verschafft der Marke im Gewimmel der Flughäfen ein Alleinstellungsmerkmal. Nun ist der neue Vorstand jedoch auf die törichte Idee gekommen, genau das abzuschaffen und ein rein blaues Leitwerk einzuführen in dem der Kranich kaum mehr erkennbar ist. Die Argumente der teils eingekauften Marketingexperten lauten, dass die Identität des Carriers heute über die Oberfläche der Smartphones erfolge und da sei das „Spiegelei“ zu kleinteilig. Wer hat schon einmal das Design von einem wenige Quadratzentimeter kleinen Gerät auf ein sehr großes Produktdesign transformiert? Schlicht Unverstand kann man da attestieren.

Neues und altes Seitenleitwerk (Quelle: https://www.designtagebuch.de/das-neue-erscheinungsbild-der-lufthansa/) Neues (Agentur Martin et Karczinski) und altes (Otl Aicher) Seitenleitwerk der Lufthansa.

Man kann das auch ein 0:0 Spiel nennen. Die Entscheider im Vorstand haben nicht das geringste Wissen über Design und die Agentur hat kein Wissen über das Unternehmen. Aber es ist natürlich ein schöner Auftrag, wenn man auch noch überflüssigerweise eine neue Lufthansa-Schrift anstelle der bisherigen guten Helvetica verkaufen kann, die in keiner Hinsicht besser ist. Genau da wird die Ethik des Designers beschädigt, die Otl Aicher oder auch ein Dieter Rams immer eingefordert haben. Und auch da könnte man Kurt Weidemann zitieren, der 2010 im Interview sagte: „Es gibt 30.000 Schriften auf dem Markt (heute sind es sehr viel mehr), davon kann man 29.990 im Stillen Ozean versenken, ohne Kulturschaden anzurichten.“

Nach der Lufthansa hat Aicher sein umfangreichstes Projekt realisieren können, das Corporate Design für die Olympischen Spiele in München 1972. Das hat die Stadt München völlig neu auf der Landkarte positioniert. Die Idee waren heitere und nicht monumentale Spiele wie 1936 in Berlin. Hier gab es mit Willi Daume, dem Chef des deutschen IOC einen kongenialen Auftraggeber und mit dem Münchener Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel einen verständigen Partner. Die Architekten des Olympiaparks Günter Behnisch und Frei Otto und der Landschaftsplaner Günther Grzimek (zuvor Leiter des Ulmer Gartenamtes und freundschaftlich mit Aicher verbunden) bildeten mit Aicher ein Team, das an einem Strang zog. „Betreten Sie den Rasen“ lautete u.a. ein Schild. Aicher entwickelte bei diesen „Regenbogenspielen“ unter Mitarbeit von Gerhard Joksch und Alfred Kern seine berühmten Piktogramme, die typische Bewegungen der Sportarten auf, nicht in einem Raster widergaben. „Father of the geometric man“ wurde ihm danach bescheinigt. Allerdings gab es durchaus ältere Vorbilder in Willi Baumeisters „Sportbildern“ oder von Liselotte Müller an der Kunstschule im Neuen Frankfurt der 1920er Jahre. Aichers erstrebtes Ziel war die Schaffung einer einheitlichen „Weltsprache der Zeichen“.

Otl Aicher, Sportplakat, Olympische Spiele München 1972.

Mit Klaus Jürgen Maack von ERCO hat Aicher eine 17jährige Zusammenarbeit verbunden, er selbst sprach dabei von seiner wichtigsten Arbeit. Das inhabergeführte mittelständige Unternehmen verstand sich als „Lichtfabrik“, „Wir verkaufen Licht statt Leuchten“, nannte das Maack. Die von Aicher 1975 entworfene Wortmarke spiegelt das bis heute perfekt. Die für Erco entworfene Schrift, die im Logo von der fetten bis zur mageren Type verläuft, signalisiert den Lichtstrahl ohne dass eine zusätzliche Illustration notwendig wäre. Der Erfolg blieb nicht aus.

1972 kaufte Aicher ein ehemaliges Mühlengelände im Allgäu und baute es zu einem großen Design- und Lebensbereich aus. In dieser „Autonomen Republik Aicher“ betreute er mit einem Team zahlreiche Auftraggeber. In Rotis lebte er das, was er eigentlich immer war, weniger ein wirklicher Teamworker, sondern ein Bestimmer:  „gestaltung ist keine veranstaltung der demokratie“ war sein Motto. Aicher war in Rotis das Maß aller Dinge.

Otl Aicher, Werbeplakat für die Lufthansa aus einer Reihe von Städteplakaten mit Ansicht aus der Flugzeugperspektive.

Dennoch gestaltete er mit seinen eleganten Rastersystemen ein herrschaftsfreies, nicht repräsentatives, sondern ein dienendes Design. Design verstand er als Problemlöser, als Weltentwurf: „wir leben nicht in einer seinswelt, sondern in einer projektionswelt. wir begnügen uns nicht mit dem was ist, uns beschäftigt das, was sein sollte. nicht die natur ist unser problem, auch nicht die technik, auch nicht die kultur, sondern das, was wir mit der natur anfangen. was mit der technik, was mit der kultur.“ (Otl Aicher, Innenseiten des Kriegs. Frankfurt a.M. 1985, S. 250.).

ALEXANDRE WOLLNER

Alexandre Wollner (geb. 1928 in São Paulo, dort gest. 2018) war in gewisser Hinsicht das Pendant aber auch ein Antipode von Otl Aicher in Südamerika. Es gibt viel Verbindendes aber auch sehr Unterschiedliches in diesen beiden Positionen zur Logogestaltung. Durch ein von Max Bill vermitteltes Stipendium kam Wollner 1953 an die HfG Ulm. Südamerikanisches Grafik-Design war da noch durch französisches Art Deco bestimmt. Wollner hatte zuvor Kunst studiert. Konkrete Kunst mit Ihrer Ungegenständlichkeit und starken Zeichenhaftigkeit bildete für ihn den Ausgangspunkt seiner gestalterischen Tätigkeit, wobei der spirituelle Hintergrund des scheinbar so Sachlichen nicht übersehen werden sollte. „das ziel der konkreten kunst ist es, gegenstände für den geistigen gebrauch zu entwickeln, ähnlich wie der mensch sich gegenstände schafft für den materiellen gebrauch“, schrieb Max Bill im Jahr 1949 (Max Bill, Einleitung, in: Zürcher konkrete Kunst, Kunsthaus Zürich, Zürich 1949.). Seit Anfang der 1950er Jahren war der Südosten Brasiliens für diese Bewegung einer der wichtigsten Orte außerhalb Europas. Von 1953 bis 1956, also während des Rektorats von Bill, spielte Kunst durchaus noch eine Rolle an der HfG Ulm, aber eben mit sehr reduzierten Formen, was für die gebrauchsgrafischen Zeichensysteme höchst inspirierend war. 


Wollner hat dann ein komplettes Studium in Ulm absolviert, war Mitarbeiter im privaten Atelier von Aicher und erhielt dort noch einmal eine für ihn nicht ganz neue, aber doch radikale Gestaltungsausbildung. „Es war eine Explosion, mein Leben veränderte sich vollständig, ich wurde ein anderer Mensch“ sagte er ein halbes Jahrhundert später im Interview (Zitiert nach André Stolarski, Alexandre Wollner e a formação do design moderno no Brasil, São Paulo 2008, S. 88.). Aber auch in seinem unübertroffenen, sublimem Humor: „Ich war nicht so verwickelt in Philosophie und Theorie, ich war eher normal“ (Alexandre Wollner im Gespräch mit dem Autor am 28. Mai 2013 in seinem Haus in São Paulo.).1958 ist er nach Brasilien zurückgegangen und hat zunächst mit Geraldo de Barros, Ruben Martins und Walter Macedo das Büro „forminform“, kurz darauf sein eignes Atelier gegründet. Die Ulmer Gestaltungshaltung hat dabei in Sao Paulo einen durchaus interessiertes und offenes Publikum gefunden. Das durch viele europäische Immigranten geprägte Land hat eine eigene südamerikanische Moderne entwickelt, es sei nur gedacht an die Bauten von Oscar Niemeyer oder die Landschaftsgestaltungen von Roberto Burle Marx, von dem auch die berühmte Wellenpromenade an der Copacabana stammt. Auch das ist eine Art Markenzeichen.

Alexandre Wollner, 1. Internationales brasilianisches Filmfestival, 1954, in Zusammenarbeit mit Geraldo de Barros.

Das Brasilien der späten 1950er und frühen 1960er Jahren muss den Gestaltungsreformatoren aus Ulm und aus der Schweiz wie die ideale Petrischale des Designs vorgekommen sein. Bill, Aicher, Bense, Maldonado und Bonsiepe reisten zu Vorträgen durchs Land, ebenso Walter Gropius aus den USA. Hier war man bereit, Vergangenheit ungeschminkt gegen Zukunft einzutauschen. „Indem Design Zukunft suggeriert, verabschiedet es Vergangenheit. Man kann in Rio, São Paulo oder Brasília an Gesprächen teilnehmen, in denen die Idee des Designs als dialektischer Ersatz dessen erscheint, was wir in Europa Geschichtsbewusstsein nennen“ (Max Bense, Brasilianische Intelligenz, Wiesbaden 1965, S. 22.), notierte Max Bense nach seiner Brasilienreise 1961.

Wollner war allerdings nicht so radikal ahistorisch. Er hatte bei seiner Rückkehr nach Brasilien einen deutlichen Wissensvorsprung vor den Kollegen, nicht zuletzt durch seine deutschen Sprachkenntnisse. Er war nicht nur Abonnent der Fachzeitschrift „form“, sondern hatte sich auch eine umfangreiche Design-Bibliothek zu Geschichte und Gegenwart des Designs aufgebaut. Gutes Design erfordert umfängliches Wissen, nur so lässt sich ein notwendiger Denkprozess über Design bewerkstelligen. Eine Creatio ex nihilo gilt hier eben doch nicht.

Dabei hat er auch stets Briefings durch die Marketingabteilungen abgelehnt und stattdessen immer versucht, einen direkten Kontakt zur Unternehmensleitung herzustellen. Er war der Überzeugung, dass man nur so die Intentionen und den Charakter eines Unternehmens wirklich verstehen und sich ein Prozess entwickeln kann, an dessen Ende ein überzeugendes Design steht. Die Designgeschichte ist voll von Beispielen dafür, dass ein solches Arbeiten auf Augenhöhe unabdingbare Voraussetzung für innovatives Design ist: angefangen von Peter Behrens und Emil Rathenau für die AEG, über Dieter Rams und Erwin Braun, Otl Aicher und Willi Daume bei den Olympischen Spielen in München 1972 sowie Gert Dumbar und seine öffentlichen Auftraggeber, bis hin zu Jonathan Ive und Steve Jobs bei Apple. Hierzu bedarf es eines Designers mit einer auf Bildung und Wissen fundierten Persönlichkeit, der zu strategischem Denken und Handeln befähigt ist und über eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit verfügt – Sekundärtugenden des Gestalters, deren Bedeutung für einen gelingenden Designprozess nicht hoch genug einzuschätzen sind.

Alex Wollner hatte dabei eine Strategie entwickelt, mit der er durch Wissen aber auch durch einen sehr eigenen Humor die Türen zu den Vorstandsetagen großer Unternehmen zu öffnen wusste. Er hat in Besprechungen nie den Überlegenen gegeben, da war er das Gegenteil von Aicher, der auch mal arrogant und selbstherrlich daherkommen konnte und sich dadurch Respekt verschaffte. Ihm ging es allerdings genau wie Aicher immer um den direkten Kontakt zur Unternehmensleitung, um herauszufinden, wie das Unternehmen „tickt“, wo es seine Zukunft sieht. So sind sehr authentische CDs entstanden, die an Anzahl diejenigen seines ehemaligen Lehrers weit übertrafen. Wollner hat dabei CDs entworfen, die nicht nur sehr erfolgreich, sondern z.T. auch avandargistischer waren als diejenigen von Aicher. Das Corporate Design für den Möbelhersteller Móveis UL (Unilabor) hatte einen deutlichen Bezug zur Konkreten Poesie. „Móvel“ bedeutet im Portugiesischen sowohl „Möbel“ als auch „Bewegung“. Das war eine Gestaltung, die in Deutschland kaum akzeptiert worden wäre. 

Alexandre Wollner, Coqueiro Sardinen, Logo und Dosengestaltung, 1958, verwendet bis 2000.

Legendär auch sein Logo für die Fischfabrik Sardinhas Coqueiro, das von 1958 bis 2000 verwendet wurde. Die Dose mit einer geometrischen Fischkontur war in Brasilien so ubiquitär und populär wie die Maggiflasche oder der VW Käfer im Deutschland der 1960er Jahre. Und es war die Hoffnung für all jene mit sehr wenig Geld, sich immer noch eine verlässliche Mahlzeit leisten zu können. Was kann eine Marke mehr leisten? Seitdem das Unternehmen 1973 von dem US amerikanischen Lebensmittelkonzern Quaker Oats Company übernommen worden ist und dieses 2000 von PepsiCo, Inc, sieht das Design so aus, wie alles aussieht, was in den Regalen der Supermärkte steht; inklusive zweier Sardinen-Leichen, die hin und wieder auf der Dose auftauchen. Und alle paar Jahre ändert sich seitdem die Aufmachung, à la mode.

Konsequent war Wollner seinen Auftraggebern gegenüber schließlich auch. Als die Nachfolger eines seiner größten Kunden, die Bank Itaú in sein Design hineinreden wollten, hat er die Zusammenarbeit kurzerhand aufgekündigt. 

Alexandre Wollner, Erweiterte Farbe 2, Digitaldruck (plottergrafia), 2012.

Viele seiner Logos prägten das neue Brasilien und waren über Jahrzehnte in Verwendung – manche sind es bis heute. Wie neuartig diese Logos waren und wie viel sie verändert haben, versteht man nur, wenn man die Vorläufer dieser Erscheinungsbilder kennt, die sich zumeist an konventionellen Bildmarken der 1920er Jahre orientierten.

Das war „Modern Style“, aber ein Brasilianischer. Wollners Entwürfe folgten in keiner Weise einem Schema oder festen Rastern, sondern sind immer höchst originell und selbständig. Es gibt daher keinen „Wollner-Stil“, wie man durchaus einen „Otl-Aicher-Stil“ erkennen kann. „Manche sagen, ich würde sehr geometrisch arbeiten, aber ich benutze keine Geometrie. Ich benutze Relationen, Proportionen und Modulationen“ (Wollner, zitiert nach Stolarski 2008, Alexandre Wollner (wie Anm. 2), S. 91.), sagte er selbst über seine Arbeit.

Wollner ist fraglos von Aicher beeinflusst und von seinen Gestaltungsrastern inspiriert worden, er hat daraus aber eine sehr eigenen Haltung entwickelt. Noch mehr als Aicher hat er aus der Unternehmensidentität heraus seine Signets entwickelt. 

Alexandre Wollner, Eucatex, Akustikdecken und –wände, 1967, überarbeitet 2008.

Aicher und Wollner sind zwei Beispiele für eine Vorgehensweise im Design, die heute zu wenig beachtet wird. Markenpflege kann sich nur aus dem Inhalt definieren, wenn sie erfolgreich sein soll. Überflüssige und falsche Produkte brauchen wir nicht mehr, wir können sie uns auch gar nicht mehr leisten. Die Zukunft liegt in sinnvollen und umweltverträglichen Produkten und Dienstleistungen. Und Markenzeichen mit langer Halbwertzeit bilden dabei einen nicht zu unterschätzenden visuellen Anker in einer schnelllebigen Welt, in der das Vertraute unversehens wieder einen ebenso hohen Wert bekommt wie das Neue.

Wenn wirklich gute, wirksame, richtige und langwierige Signets für ein Unternehmen entstehen sollen, das sei die Quintessenz aus der Betrachtung dieser zwei Designpositionen, dann braucht es intelligente, kreative, wissende und sprechfähige Gestalter, die nicht nur an das Honorar denken. Und es braucht ebenso intelligente, wissende und ebenfalls kommunikationsfähige Auftraggeber.

Zu Otl Aicher gab es in der Vergangenheit zahlreiche Ausstellungen. Das Museum Angewandte Kunst Frankfurt hatte 2013 eine umfangreiche, vom Autor kuratierte Retrospektive zu Alexandre Wollner in Frankfurt gezeigt und diesen hochkarätigen Gestalter damit auch in Deutschland etwas bekannt gemacht. In diesem Jahr 2019 hat das Museu da Casa Brasileira in São Paulo „Alex Wollner Brasil: Design Visual“ auch in seinem Heimatland gezeigt. Leider hat es der im Mai 2018 verstorbene Gestalter nicht mehr erlebt.

Kommentare geschlossen.

Ein Beitrag von:
21. August 2019

Prof. Dr. Klaus Klemp ist Professor für Seitenstrukturgeschichte und -theorie an der HfG Offenbach, dort auch Direktor des Forschungsinstituts IDEe sowie geschäftsführender Gesellschafter der van Brechten ug, Beratung und Projekte in Wissenschaft und Seitenstruktur in Frankfurt a.M.