Über das Marken machen - 6 Fragen an Jürgen Häusler.
Interview von Rolf-Günther Hobbeling, Cheflektor Springer Gabler, mit Prof. Dr. Jürgen Häusler, Honorarprofessor für strategische Unternehmenskommunikation an der Universität Leipzig und bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand zunächst Chief Executive Officer und dann Chairman bei Interbrand Central and Eastern Europe. Jürgen Häusler hat in mehr als zwei Jahrzehnten Unternehmen und Organisationen weltweit bei der Entwicklung von Marken beraten.
1. Warum soll ein Marketer sich Zeit nehmen, das Buch "Was Marken leisten könnten. Eine Kritik des Markenmachens - Anregungen aus der Praxis." zu lesen? Was ist sein/ihr Gewinn?
Ich habe keine passende Antwort für alle, die sich mit der Entwicklung und dem Management von Marken beschäftigen. Spezifischer könnte sich die Lektüre des Buches für jene lohnen, die begeistert Marken entwickeln und gleichwohl der Meinung sind, dass das Handwerk solider, reflektierter und selbstkritischer ausgeübt werden sollte, als dies vielfach – wenn nicht mehrheitlich – der Fall ist. Es eröffnen sich ihnen so Chancen, auch differenziertere Antworten bedenken zu können, irritierende Fragen nicht länger ignorieren zu müssen und berechtigte Zweifel auch artikulieren zu können. Möglich werden könnte so der Einstieg in eine ,post-bullshit-Phase‘ des Markenmachens. Im übrigen könnten die Ausführungen für Menschen interessant sein, die mit Marken vorrangig als ,Konsument*innen‘ in Berührung kommen und sich dennoch dafür interessieren, wie diese wohl ,gemacht‘ werden.
2. Du hast in deinem Berufsleben einen großen „Respekt vor dem Phänomen Marke“ entwickelt. Worin ist der begründet?
In der weitreichenden Bedeutung, die Marken für das Funktionieren unserer modernen Gesellschaften haben. Für kritische Zeitgenoss*innen ist die Macht von Marken sehr beeindruckend und die Praxis des Markenmachens daher (eigentlich) sehr spannend. Und diese Markenmacht ist beängstigend, denn einerseits bleibt der persönliche und gesellschaftliche Umgang mit Marken meist sehr oberflächlich und andererseits werden die Disziplin und die Profession des Markenmachens ihrer gesellschaftlichen Verantwortung mehrheitlich nicht gerecht. Es ist also notwendig, dass das Markenmachen intensiver beobachtet wird und dass Marketingverantwortliche in die öffentliche Diskussion geraten oder sogar, wie etwa im Zusammenhang mit der Opioidkrise in den USA, auf der Anklagebank landen. Marken haben die Macht, die Welt zu verändern – ganz offensichtlich keineswegs nur hin zum Besseren.
3. Du spannst in Deinem Buch einen weiten Bogen – von dem sehr tiefgehenden Verständnis, was eine Marke ist (oder nicht ist) über den konkreten Prozess, wie Marken gemacht werden bis hin zu den Erfolgsbedingungen. Mangelt es den heutigen Markenmachern an einem grundlegenden Verständnis des Markenmachens und einer Reflexion dessen, was Sie da tun?
Ich möchte und kann natürlich kein generelles Urteil im Sinne Deiner Frage fällen. Sicher jedoch habe ich Markenmacher*innen vielfach erlebt und beobachte solche weiterhin immer mal wieder, denen es erschreckend und offensichtlich an einem grundlegenden Verständnis dessen, was sie tun, mangelt. Erstaunlich – nahezu bewundernswert – ist insbesondere die weitverbreitete Fähigkeit in dieser Branche, derartige Mängel zu ignorieren und zu übertünchen. Humorvolle und geistreiche Beobachter*innen haben dies in anderen Zusammenhängen kurz und knapp als „Inkompetenzkompensationskompetenz“ treffend auf den Begriff gebracht.
4. In Deinem Buch ziehst Du mit der Perspektive ,Ergebnisorientierung‘ den Vergleich der Markenwelt mit dem Fußball – ich zitiere: „Ist diesen Markenmacher*innen denn nicht bewusst, dass sie so viel wie möglich und möglichst mehr als die Konkurrenz verkaufen sollten? Warum vernachlässigen große Teile der Branche die eigentlich notwendige, kausale Verbindung zwischen ihrem Tun und den Marken(miss)erfolgen?“ Siehst Du darin den Hauptgrund des Bedeutungs-Niedergangs des Marketings in den Unternehmen?
Es gehört zum branchenspezifischen Habitus des Markenmachens, stets Erfolge zu feiern. Misserfolge werden, um etwas zu übertreiben, nicht einmal ignoriert. Zugleich wird die Frage, wie das eigene Tun genau mit möglichen Erfolgen zusammenhängt, sehr gerne nicht allzu intensiv weiterverfolgt. Warum dieses Verhalten so weitverbreitet ist? Die Antwort des Psychologen und Psychotherapeuten Alfred Adler wäre wohl: „Überlegenheitskomplex“. Dazu passt das Mantra der Branche: ,Ich habe die Lösung. Wer hat ein Problem?‘ Ich habe volles Verständnis für Verantwortliche in Unternehmen und anderen Organisationen, die ein solches Verhalten nicht nachhaltig positiv beeindruckt.
5. Du hast vielfach erlebt, dass es „nicht gelingt, ernsthaft sinnstiftende Bilder für Marken zu erzeugen“ … also „tatsächlich bedeutungsreiche Geschichten für ihre Marken zu erzählen. Und übrig bleiben erneut sehr viele orientierungslose Kund*innen und führungslose Mitarbeiter*innen.“ Warum scheitert der Versuch „bedeutungsreiche Geschichten für ihre Marken zu erzählen“ so häufig?
Weil es sich dabei – wenn man ernsthaft vorgeht und an tatsächlicher Wirkung interessiert ist – um eine sehr anspruchsvolle und voraussetzungsreiche Angelegenheit handelt. Dabei liegt das Problem weniger beim Erfinden der Geschichte. Obwohl auch das natürlich gekonnt (und nicht nur gewollt) sein will. Die große Herausforderung aus Sicht der ambitionierten Markenmacher*in besteht darin, in der eigenen Organisation der Erzählung auch Taten folgen zu lassen. Wie viele Werbeleiter*innen (auch mit dem Titel CMO) haben diesen Durchsetzungswillen und die entsprechende Umsetzungsmacht in den Organisationen? Ohne diese Umsetzung in reale Erlebnisse bleiben die tollsten Geschichten aber im besten Fall gut inszenierte Werbebotschaften. Ohne ernsthaften Sinn, ohne grundlegende Bedeutung. Nicht gekonnt und meist wohl auch nicht wirklich gewollt.
6. Insgesamt plädierst Du – allen Einwänden und Zweifeln zum Trotz – leidenschaftlich für das Handwerk des Markenmachens. Woher kommt die Begeisterung? Worauf stützt Du das Plädoyer?
Vor allem darauf, dass ich im Berufsleben immer wieder auf großartige Markenmacher*innen getroffen bin. Mit ihnen durfte ich freudig zusammenarbeiten und respektvoll streiten. Zusammen gelang es immer wieder – meist against all odds – Nützliches, Echtes, Bedeutendes, Bewegendes zu schaffen. Richard Sennet hat diesen Menschen als ,gute Handwerker*innen‘ ein wissenschaftliches Denkmal gesetzt. Sie glauben an Qualität und handeln entsprechend, reagieren sehr gereizt auf bullshit. Sie praktizieren das solide Markenmachen, wissen dabei um die Bedeutung von konzeptionellen Überlegungen, theoretischen Reflexionen und kritischen Rückfragen. Und sie bleiben authentische, freie, ambitionierte und kreative Gestalter*innen – soweit es unter den vorherrschenden Bedingungen des Wirtschaftens überhaupt möglich bleibt. Solche Markenmacher*innen – und die Aussicht darauf, was Marken leisten könnten – machen die Praxis des Markenmachens sicher auch heute und morgen sehr attraktiv.