Pharma goes Life­style – and "Haltungs­marketing" gets lost.

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Liebe Leserin, lieber Leser,

bei vielen Markenexperten gilt es ja inzwischen als No-Brainer, dass die Marke heute vor allem eine „Haltung“ zu gesellschaftlichen Themen braucht, ausgenommen natürlich ihrem eigentlichen Nutzen, der gerne nebulös bleiben darf. Leider ist das mit der Haltung manchmal gar nicht so leicht – denn oft genug hat die Sache zwei Seiten. Nehmen wir das Thema „Body-Positivity“ und die „Fat Acceptance-Bewegung“: Ohne Zweifel ist es gut, wenn alle Menschen sich und ihren Körper mögen, wie er ist – anstatt sich pausenlos den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man besser, schlanker, fitter aussehen könnte. Vor allem bei jungen Menschen leidet so am Ende nicht nur die psychische Gesundheit. Ist es da nicht gut, dass Marken wie Dove oder always sich als Botschafter der Body Positivity verstehen, auch wenn ihre Produkte gar nichts mit Ernährung oder Fitness zu tun haben? Andererseits … kann niemand bestreiten, dass dauerhaftes Übergewicht nicht nur schwere gesundheitliche Folgen für den Einzelnen hat; vielmehr ist „Obesity“ in den entwickelten Ländern auch ein gravierendes gesellschaftliches und ökonomisches Problem. Wäre es da nicht auch ein wichtiges Thema für Marken, wie, sagen wir, Dove oder always, hier Position zu beziehen? Wir würden sagen: Ja, klar. Aber nur, wenn das Angebot dieser Marken tatsächlich einen Beitrag zum Thema leisten kann. Und genau hier haben sich ganz neue Marken ziemlich glaubwürdig positioniert Sie heißen natürlich Ozempic, Wegovy oder Mounjaro, und sie sind alles andere als dröge Pharma-Brands; sie sind Teil eines (unserer Sicht eher fragwürdigen) Lifestyles, bei dem Fat Acceptance keine Rolle mehr spielt, und der stattdessen auf den schnellen Beach Body durch die „Skinny Jabs“ setzt. Und natürlich gäbe es noch eine Gruppe von Marken, von denen man gerne mal was zum Thema hören würde, von Marken wir Coca-Cola, Nestle, Danone oder auch Walmart. Die überlassen aber die Kommunikationshoheit da gerne den neuen, hippen Pharmamarken. Eine gute Arbeitsteilung? Wir denken, nein. Aber was meinen Sie?

Hier der Link: https://www.theguardian.com/business/article/2024/jun/25/skinny-jabs-weight-loss-drugs-generic-ozempic-wegovy-saxenda

23. August 2024
Ein Beitrag von:

Alexander Rauch ist Managing Partner von Spirit for Brands, einem auf die Themen Markenpositionierung, Markenstrategie und Markenmanagement spezialisierten Beratungsunternehmen in Köln.

  1. In der Tat, das Thema Kommunikationshoheit und damit der ethischen Verantwortung von Marken ist weitreichender als nur im Bereich von Ernährung und Körperbild. Die Geschichte der Werbung für Produkte wie Zigaretten und Alkohol bietet ein prägnantes Beispiel dafür, wie Marken jahrzehntelang Einfluss auf gesellschaftliche Normen genommen haben, oft ohne Rücksicht auf die gesundheitlichen Folgen für die Konsumenten.

    Zigarettenmarken wie das HB-Männchen oder der Marlboro Cowboy wurden zu Ikonen der Popkultur, obwohl sie ein Produkt bewarben, das nachweislich gesundheitsschädlich ist. Ähnlich verhält es sich mit Alkoholmarken, die durch coole Werbespots und geschickte Marketingslogans oft von den potenziellen Gefahren des Alkoholkonsums ablenken. Die Integration von Botschaften wie „responsible drinking“ erscheint oft nur als eine Pflichtübung, die die tieferen Probleme wie Alkoholismus nicht ernsthaft adressiert.

    Das Für und Wider einer ethischen Verantwortung von Marken lässt sich wie folgt darlegen:

    Für eine ethische Verantwortung:
    Schutz der Konsumenten: Marken haben eine direkte Verbindung zu ihren Konsumenten und können durch ihre Kommunikation Einfluss auf deren Verhalten und Einstellungen nehmen. Sie sollten daher verantwortungsbewusst handeln, um gesundheitsschädliche Folgen zu vermeiden.

    Langfristiges Vertrauen: Durch ethisches Handeln können Marken das Vertrauen ihrer Kunden gewinnen und langfristig erhalten. Dies ist nicht nur moralisch richtig, sondern kann auch wirtschaftlich vorteilhaft sein.

    Soziale Verantwortung: Als Teil der Gesellschaft haben Unternehmen eine Verpflichtung, zum Gemeinwohl beizutragen und Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.

    Gegen eine ethische Verantwortung:
    Wirtschaftliche Freiheit: Marken sind in erster Linie Wirtschaftsunternehmen, die Gewinne erzielen sollen. Zu strenge ethische Auflagen könnten ihre Wettbewerbsfähigkeit einschränken.
    Konsumentenverantwortung: Einige argumentieren, dass letztendlich die Konsumenten selbst verantwortlich sind für ihre Entscheidungen und Lebensstile. Marken können informieren, aber nicht bevormunden.

    Praktikabilität: Es kann schwierig sein, genaue Grenzen für ethisches Verhalten zu definieren, besonders in globalen Märkten mit unterschiedlichen kulturellen Normen und Gesetzen.

    Als Markenschaffender muss man erkennen, dass die Frage der ethischen Verantwortung von Marken tiefgreifende Implikationen hat, die über Marketingstrategien hinausgehen und grundlegende ethische Prinzipien wie Integrität, Verantwortung und Rücksichtnahme berühren. Es geht darum, eine Balance zu finden zwischen unternehmerischer Freiheit und der Verpflichtung, das Wohl der Konsumenten und der Gesellschaft nicht zu gefährden. Dies erfordert eine ständige Auseinandersetzung und Dialog zwischen Unternehmen, Konsumenten und Regulierungsbehörden, um faire und effektive Lösungen zu entwickeln.

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