Von starken Marken zu schweren Erden. Eine geopolitische Wende?
Marken sind – par excellence – das Symbol westlicher Weltordnung. Sie stehen nicht nur für Produkte, sondern für Macht, Einfluss, Identität. Apple, Microsoft, IBM, Ford, Coca-Cola, Nike, McDonald's, Google, ExxonMobil, Pfizer oder Disney sind nicht einfach Unternehmen, sondern Träger eines kulturellen Universalismus, der untrennbar mit der amerikanischen Hegemonie des 20. Jahrhunderts verbunden ist. Wer globale Märkte beherrscht, prägt auch Zeichen, Werte, Lebensstile. Marken gelten als die eigentliche Währung der Moderne – sichtbar, begehrenswert, ordnungsstiftend.
Doch diese Ordnung scheint ins Wanken zu geraten. Während westliche Gesellschaften weiterhin auf Differenzierung, Profilierung und symbolischen Mehrwert setzen, verschiebt sich das materielle Machtzentrum globaler Produktion in eine Richtung, die dem Prinzip Marke zutiefst fremd ist. Die neue Ordnung basiert nicht auf Aufmerksamkeit, sondern auf Abhängigkeit. Nicht auf Bedeutung, sondern auf Besitz. Nicht auf Logos, sondern auf Kontrolle.
Im Zentrum dieser neuen Realität stehen die sogenannten Commodities – standardisierte Rohstoffe, die global in tonnenweiser Austauschbarkeit zirkulieren. Sie bilden das Rückgrat industrieller Wertschöpfung, sind Grundlage jeder Transformation – von Infrastruktur über Lebensmittel bis zur Digitalisierung. Sie sind das ökonomische Fundament einer Welt, in der sich vieles zunehmend auf das Materielle zurückverlagert. Ihr wirtschaftliches Gewicht ist erheblich – global und strukturell. Commodities machen laut Weltbank zwischen 20 und 25 Prozent des weltweiten Warenhandels aus. In zahlreichen rohstoffbasierten Volkswirtschaften liegt ihr Anteil an den Exporterlösen bei über 80 Prozent.
Dennoch bleibt ihre Rolle seltsam unsichtbar. Commodities haben keine Marken. Produzenten und Lieferanten dieser Rohstoffe streben selten nach Sichtbarkeit. Markenbekanntheit ist nicht Teil ihres Geschäftsmodells – im Gegenteil: Eine starke Unternehmensmarke gilt oft als unerwünscht. Der wirtschaftliche Wert ergibt sich aus Reinheitsgraden, Normen, Lieferfristen – nicht aus Image oder Differenz. Diese Güter sind austauschbar, standardisiert, anonym – ihre Anonymität ist keine Schwäche, sondern die Voraussetzung für ihre zentrale Rolle. Der Kupferpreis wird in London gesetzt, das Getreide über Futures in Chicago gehandelt, Rohstoffe wie Kobalt, Erdöl oder Aluminium über Handelsfirmen in Genf bewegt.
Ein besonders brisantes Beispiel ist der Markt für sogenannte schwere Seltene Erden – Elemente wie Dysprosium und Terbium sowie das funktional ebenso bedeutsame Neodym – die für nahezu alle Zukunftstechnologien unverzichtbar sind: Windkraftanlagen, Elektromotoren, Halbleiter, Laser, Drohnen, Satelliten, Raketen. „Seltene Erden“ – das klingt nach Rarität, ist aber ein Fachbegriff mit Täuschungspotenzial: Diese Metalle sind keineswegs selten, wohl aber schwer zugänglich und aufwendig zu verarbeiten. Ohne sie funktioniert keine Energiewende, keine Digitalisierung, keine Rüstungstechnologie. Und doch kennt sie kaum jemand. Sie haben keinen Markenwert, keine Verpackung, keine Kommunikationsstrategie. Ihr Preis ergibt sich allein aus physikalischer Notwendigkeit – und geopolitischer Kontrolle.
Gerade darin liegt ein starkes schwaches Signal. Die wachsende strukturelle Bedeutung dieser Elemente kündigt nicht nur eine neue geopolitische Materialökonomie an, sondern verweist auch auf einen möglichen Bedeutungsverlust der westlich geprägten Markenordnung. Während Marken laut, sichtbar und bedeutungsaufgeladen sind, operieren diese Rohstoffe still, unscheinbar – und entfalten ihre Macht über materielle Abhängigkeiten statt kultureller Erzählungen. Wo früher Bedeutung durch Sichtbarkeit entstand, entsteht sie nun durch Notwendigkeit. Und wo Narrative dominierten, zählen heute Ressourcen.
Wer diesen Markt kontrolliert, kontrolliert die industrielle Zukunft. Und dieser Akteur ist China. Rund 70 Prozent der globalen Fördermenge stammen von dort – aber noch entscheidender: über 90 Prozent der weltweiten Raffinierungskapazitäten befinden sich in chinesischer Hand. Kennen wir die zentralen Unternehmen? Haben wir von ihren Produkten schon einmal gehört? Wohl kaum – und doch besitzt China damit nicht nur Zugriff auf die Rohstoffe, sondern auch auf das Know-how, die Anlagen, die Logistik, um sie für industrielle Nutzung überhaupt erst zugänglich zu machen. Die USA, Europa und Japan sind faktisch abhängig. Diese Abhängigkeit ist nicht nur wirtschaftlich, sondern strategisch – und sie ist asymmetrisch.
2025 wird deutlich, was sich bereits seit Jahren abzeichnet: China nutzt diesen Hebel. Im April beschränkt es den Export von sieben kritischen Elementen – darunter Dysprosium und Terbium – gezielt in Richtung USA und Europa. Die Folge: Die chinesischen Ausfuhren gehen um ein Drittel zurück, US-Rüstungsbetriebe melden akuten Materialengpass, einige europäische Zulieferer müssen Werke vorübergehend schließen. Export wird zur geopolitischen Steuerung. Bloomberg spricht von einem stillen Rohstoffkrieg. AP berichtet, China vergebe Exportlizenzen nur noch selektiv und behalte sich jederzeit neue Restriktionen vor. Die Washington Post zitiert US-Behörden, wonach eigene Reserven nicht ausreichen würden, um eine Produktionsunterbrechung länger als 60 Tage zu überbrücken. In einem internen Bericht des U.S. Department of Commerce heißt es: "Die strukturelle Abhängigkeit von chinesischen Veredelungskapazitäten ist kurzfristig nicht überwindbar. Jede Exportdrosselung hat unmittelbare sicherheitspolitische Konsequenzen." Strategische Autonomie? Eine Illusion.
In diesem Markt verkauft China keine Marken, sondern setzt Bedingungen. Es erzählt keine Geschichten, sondern schafft Knappheit. Es produziert keine Narrative, sondern Abhängigkeit. Damit verschiebt sich das Zentrum wirtschaftlicher Gestaltungsmacht. Die klassische westliche Vorstellung von Wirtschaftsmacht – Differenzieren, Begehrlichkeiten wecken, emotional binden – trifft auf eine neue Rationalität: kontrollieren, dosieren, absichern. Die Marke – jahrzehntelang Symbol westlicher Gestaltungskraft – verliert ihren privilegierten Status. Denn in der neuen Logik zählt nicht das Sichtbare, sondern das Unvermeidliche. Nicht das Versprochene, sondern das Gelieferte. Nicht das Besondere, sondern das Elementare.
Was, wenn der Zugriff auf ein Gramm Yttrium heute weltpolitisch wirkmächtiger ist als jedes Markenversprechen? Was, wenn die geopolitische Zukunft nicht in der kulturellen Aufladung, sondern in der chemischen Reinheit liegt? Was, wenn dort, wo die Marke nicht hingelangt, längst entschieden wird, wie die Welt funktioniert? Die Gegenwart zeigt: Schwere Erden wiegen heute schwerer als starke Marken. Nicht nur anders. Stärker. Mächtiger. Wirksamer. Und das ist mehr als ein wirtschaftlicher Paradigmenwechsel. Es ist eine geopolitische Wende.
Ein modest proposal zum Schluss: Markenexpert*innen dieser Welt – bleibt bei eurer Kernkompetenz: dem Trendsurfing. Und der Trend? Der führt weg von Logos, Claims und Markenidentitäten – und hin zu Lieferketten, geopolitischer Kontrolle und kritischen Elementen. Wer relevant bleiben will, denkt künftig weniger über Disruption und Purpose, mehr über Dysprosium und Neodym nach.