The Business of Brand Management
EDITORIAL

The Purpose of Business is Business.

Günther Misof

In den 60er-Jahren schien es einfach zu sein: Der Ökonom Milton Friedman (“Kapitalismus und Freiheit”, Piper Verlag) war der Auffassung „The purpose of business is business“.

Foto: Ermenegildo Zegna, Winter-Werbekampagne 2020, #whatmakesaman

Der Purpose von Unternehmen war nach diesem Verständnis nicht nur qualitative Herrensocken zu produzieren, regionale Lebensmittel zu verkaufen, hochtechnologische Maschinen zu bauen oder intelligente Software zu entwickeln, um nur einige Beispiele zu nennen, sondern in vielen Fällen – vornehmlich in den USA – ausschließlich Profitmaximierung und Shareholder-Value. Vorrangiger Unternehmenszweck war, Geld zu verdienen. Gewinne zu machen, damit der Fortbestand gesichert war, aber auch – um angeblich – einen Beitrag zum Gemeinwesen zu leisten.

Es gab aber auch zahlreiche – meist inhabergeführte Unternehmen in Deutschland, die als Arbeitgeber, durch Förderung des Standortes und nicht zuletzt durch Abführung von Steuern, konkret zum Gemeinwohl beisteuerten, auch wenn dies in den aktuellen Diskussionen gern unterschlagen wird.

Ganz so einfach ist es heute offenbar nicht mehr. Profitmaximierung und Shareholder Value als alleinigen Purpose haben ausgedient, wenngleich kaum ein Unternehmen den Purpose so ausschließlich definiert haben dürfte. Es reicht nicht länger, dass Unternehmen finanziell erfolgreich sind und durch Investitionen in die Entwicklung von Innovationen die Zukunft sichern. Unternehmen müssen etwas zur Gesellschaft beitragen, behaupten nun sogar die Erfinder von Shareholder-Value. Allerdings: Gehälter in Millionenhöhe, Prämienzahlungen trotz unternehmerischer Schieflage oder drohender Insolvenz, lassen diese Forderungen ziemlich scheinheilig und unglaubwürdig erscheinen.

Ausgelöst durch gesellschaftliche Diskrepanzen und Dissonanzen, durch die Umweltdiskussion und den Klimawandel, auch durch die Corona-Pandemie, geht es offensichtlich um einen „höheren Sinn“ von Unternehmen. Aber: „Traue keinem Manager, wenn er sagt, er widme sich dem Gemeinwohl! Das ist nicht sein Business. Wenn die Unternehmen gute Gewinne machen, dann befähigt das den Staat (mit Steuern) und die Bürger (mit Einkommen) Gutes , Klimanachhaltiges oder sozial Sinnvolles zu tun. Eine bessere Welt ist durchaus möglich; höhere Zwecke für Unternehmen braucht es dafür nicht.“ (Rainer Hank, „Schuster bleib bei deinen Leisten“, FAZ, 19.07.20).

Die mannigfaltigen Definitionen von Purpose – Absicht, Bestimmung, Entschlossenheit, Funktion, Grund, Nutzen, Sinn, Ziel, Zielbewusstsein, Zielsetzung, Zweck – sowie das diesbezüglich übliche Branchen-Geblubber bringen uns allerdings um den Verstand. Zusätzlich vergrößern die erprobten „Werkzeuge“ wie Vision, Mission, Positionierung, Reason Why, oder Why/How/What (Simon Sinek) sowie die pausenlos – ob passend oder nicht – ins Spiel gebrachten Stichworte Nachhaltigkeit und Haltung zusätzlich das Chaos. Meist wird alles zu einem ungenießbaren (Berater-)Brei verrührt.

 

„The purpose of business is purpose.“

(Think:Act 25, Roland Berger)

Die Vokabel Purpose lässt sich für alles mögliche verwenden. Neben unzähligen Stilblüten wie “Marketing Purpose” macht „Purpose jetzt sogar Männer“. Letzteres zeigt immerhin die Richtung, um die es auch geht: nämlich um eine Haltung.

Auffallend: Neben dem italienischen Modeschöpfer Giorgio Armani (sehe Artikel ‚Man kann nur ernten, was vorher gesät wurde.) hat sich auch der italienische Cashmere-König Brunello Cucinelli, der seit Jahren für einen „humanistischen Kapitalismus“ plädiert und sich an der Definition des „ehrbaren Kaufmanns“ von Benedetto Cotrugli orientiert („Bezahlt pünktlich seine Rechnungen, springt ein, wenn Not am Mann ist und steht zu seinem Wort“), zum „höheren Sinn“ von Unternehmen, zu Haltung, geäußert („Wir müssen uns in Bescheidenheit üben“, FAZ, 10.08.20).

Offenbar haben diese Unternehmen die untrennbare Verbindung von Purpose, Haltung und Marke besser als in anderen Branchen und so manche Berater verstanden? 

Nach Clevis Consultant, München, wird Purpose über vier Punkte definiert:

  • Authentizität (aus dem Unternehmen heraus; was das Unternehmen im Kern antreibt),
  • Individualität (eigenständig, unique),
  • Zukunftsorientierung (Innovation, Mehrwert für die Umwelt) und über
  • Simplizität (einfach und eindeutig)

Dabei werden drei 3 Ausrichtungen unterschieden:

  • valuedriven

Was wollen wir verändern, was ist unsere Ideologie, wie handeln wir „richtig“

  • excellencedriven

Wie werden wir besser, welchen Qualitätsstandard wollen wir erreichen?

  • impactdriven

Was ist unser Einfluss, wie gehen wir verantwortungsvoll damit um?

Aber was ist Haltung als Parallelkonzept zum unternehmerischen Purpose?

Laut Alexander Gutzmer („Haltung – Warum die Wirtschaft mehr davon braucht – und die Architektur sie schon hat“, Springer Fachmedien) sind drei unterschiedliche Begriffsdimensionen zu betrachten:

  • Haltung als Konsequenz im Handeln,
  • als moralische Integrität und
  • als eigene, trennscharfe Position.
     

Drei Leitfragen gilt es für ein entsprechendes Handeln zu beantworten:
 

a) Welche Auswirkungen hat eine Positionierung auf Business und Reputation des Unternehmens?

b) Wie passt sie zu den Werten und dem Selbstverständnis des Unternehmens und der Gesellschaft?

c) Wie werden die Menschen innerhalb und auch außerhalb des Unternehmens die Positionierung bewerten?


Fraglich bleibt nur, ob eine Haltung das Ergebnis eines beratergemanagten Selbstvergewisserungsprozesses von Unternehmen sein kann.

Auf ein anderes Argumentationsniveau verweisen die Beiträge von Hermann Simon, „Es gibt nur einen richtigen Gewinn“ (FAZ, 21.09.20) und Oliver Hart, „Gewinne sind nicht alles“ (FAZ, 28.09.20). Hart verschiebt die Debatte von „Gewinnmaximierung“ auf „Interesse der Anleger“ und damit auf die Frage, was Anleger wirklich wollen. Auf kurzfristige Maximierung der Gewinne oder auf die Verfolgung langfristiger und gesellschaftlicher Interessen? Auf die Frage, welche Haltungen Unternehmen oder Marken schließlich einnehmen sollen? Das Thema Nachhaltigkeit erhält damit eine reelle Chance. Offensichtliches Berater-Eigenmarketing könnte auf dieser Ebene entfallen.

FAZIT:

Man muss allen diesen Empfehlungen nicht folgen, kann es aber drehen und wenden wie man will: Unternehmen benötigen natürlich einen Sinn. Warum hätten sie ansonsten eine Existenzberechtigung? Letztlich geht es darum, Vertrauen für ein Unternehmen, eine Marke aufzubauen, die Wertehaltung und Markenwerte zu kommunizieren. Vielleicht auch: Unternehmen und Marken ins richtige Licht zu rücken.

„Relevante und präzise Markenwerte zu definieren ist allerdings nicht einfach, denn sie sollten konkret, ursächlich, relevant und spezifisch sein. Allerdings sind Grundprinzipien des unternehmerischen Handels wie Qualität, Innovation und Kundenzufriedenheit keine Markenwerte“ (Prof. Dr. Karsten Killian, markenlexikon.com).

Unschwer lassen sich bei allen Überlegungen die Überschneidungen von Purpose und Haltung mit Marke erkennen. Purpose und Haltung als Marketing-Instrumente einzusetzen, ist hingegen meist reine Marktschreierei, kurzfristige Effekthascherei, die nach hinten los geht, wie ja einige peinliche und wenig zielführende Beispiele in jüngster Zeit gezeigt haben. Meines Erachtens wird hier unter anderem deutlich, dass sich Marketing längst überlebt hat. Marken gehören anderweitig gemangt, „da sie Gefahr laufen, vor lauter Trends und Buzzwords immer austauschbarer zu werden“ (Benedikt Holtappels, „Wieso Marken immer austauschbarer werden“, HORIZONT, 07.09.20).

Könnte es nicht auch heute ganz einfach sein? In dem wir endlich aufhören, jeden Tag „eine neue Sau durchs Dorf zu treiben“? Wenn wir uns darauf einigen würden, dass der unternehmerische Purpose der Nucleus allen Geschehens ist – der Kern, der Sinn? Und Haltung die Einstellung – die „Kraft“ des Unternehmens und der Marke – über ein entsprechendes Verhalten transportiert?

Ein komplexes Thema, zugegeben. Aber meine Auffassung dazu ist auch nur eine Interpretation. Dem Credo von The Business of Brand Management entsprechend, wollen wir im Folgenden unterschiedlichste Expertenmeinungen zu Wort kommen lassen.

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Ein Beitrag von:
18. Juli 2022

Günther Misof ist Founder und Editorial Director von THE BUSINESS OF BRAND MANAGEMENT. Er verfügt über mehr als vierzig Jahre Erfahrung in Markenführung/Brand Management als Gründer, Geschäftsführender Gesellschafter, Partner und Managing Director von mehreren Beratungsunternehmen in Frankfurt am Main und New York.