Sind Stadtmarken wertvoll? Vom Behaupten zum Bilanzieren.
Im Juni 2024 beschloss der Rat der Stadt Dortmund das Markennarrativ, im Mai 2025 wurde das neue Design eingeführt. Unter dem Leitsatz „Die Einzige ihrer Art“ wurde nicht einfach ein neues Logo eingeführt, sondern ein Selbstverständnis entworfen: eine Selbstbeschreibung, die das industrielle Erbe, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die neue Offenheit der Stadt zugleich verkörpern soll. Das Markenprojekt basierte auf einem mehrstufigen Beteiligungsverfahren mit über 350 lokalen Akteur*innen, einer bundesweiten Umfrage und intensiver Abstimmung in der Verwaltung. Entstanden ist ein Baukasten, der die städtische Identität in vier Charakterzügen („ehrlich von Herzen“, „schnörkellos“, „gemeinschaftlich anpackend“, „weltoffen“) und einem modularen Designsystem bündelt – mit einem markanten „DO“-Logo und einer für die digitale Öffentlichkeit tauglichen Typografie. Sichtbar wurde das neue Bild erstmals auf dem Stadtfest DORTBUNT. Über die symbolische Form hinaus stellt sich jedoch eine handfeste Frage: Was ist die Marke Dortmund eigentlich wert?
Zur Beantwortung dieser Frage lohnt sich ein Blick auf international etablierte Verfahren zur Markenbewertung von Städten. Analog zur Bewertung von Unternehmensmarken wird auch bei Stadtmarken versucht, deren ökonomischen Beitrag zu beziffern – etwa mithilfe des sogenannten Royalty-Rate-Modells, das mit dem städtischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) operiert. Die Grundannahme: Wenn eine Stadt ihre eigene Marke lizenzieren müsste – wie ein Unternehmen eine Fremdmarke –, welchen Prozentsatz ihres ökonomischen Outputs müsste sie dafür zahlen? Dieser Prozentsatz, die sogenannte Royalty Rate, schwankt je nach Markenstärke zwischen 0,5 % und 7 %. In der Praxis wird für mittlere Markenlagen ein Wert zwischen 2 % und 4 % angesetzt.
Für Dortmund ergibt sich daraus ein bemerkenswertes Bild. Das städtische BIP lag im Jahr 2022 bei rund 26,7 Milliarden Euro. Rechnet man konservativ mit einem markeninduzierten Einfluss von 2 %, ergibt sich ein Markenwert von etwa 533 Millionen Euro. Bei einem optimistischeren Szenario mit 4 % Einfluss wären es bereits über eine Milliarde Euro. Dieser monetäre Wert umfasst wirtschaftliche Aktivitäten, die durch Image, Bekanntheit, emotionale Bindung und narrative Positionierung der Stadt beeinflusst werden: Tourismus, Unternehmensansiedlung, Attraktivität für Fachkräfte, Veranstaltungen, Netzwerke, Investitionen. Der Markenwert ist kein symbolischer Schönwetterindikator, sondern ein realer Teil der städtischen Wettbewerbsfähigkeit – oder zumindest der Versuch, ihn dafür zu halten. Denn die Gleichung „Image = Euro“ bleibt ambitioniert – und nicht ohne Nebenwirkungen.
Auch wenn methodische Fragen nach wie vor heftig diskutiert werden, kann die Frage, ob sich der Aufwand solcher Projekte in ökonomischen Kategorien lohnt, sinnvoll gestellt und modellhaft beantwortet werden. Doch darum allein geht es hier nicht. Im Vordergrund steht weniger die Methodenfrage als vielmehr die grundsätzliche Überlegung, ob Städte überhaupt wie ökonomische Güter behandelt werden sollen – und wenn man das bejaht, wie man sich dann zur ökonomischen Frage stellt, ob und in welchem Maß Stadtmarken auch ökonomischen Wert generieren. Die Vorstellung, dass Image, emotionale Bindung und narrative Konsistenz reale ökonomische Effekte – etwa bei Ansiedlungen, Fachkräftegewinnung oder touristischer Wertschöpfung – erzeugen, ist längst nicht mehr nur Behauptung, sondern Gegenstand quantifizierender Stadtforschung. Die Verbindung von symbolischer Repräsentation und volkswirtschaftlichem Nutzen bleibt voraussetzungsreich: Sie verlangt belastbare Daten, realistische Annahmen zur Markenstärke – und die Bereitschaft, Wirkung nicht nur kommunikativ, sondern strukturell zu denken. Vor allem aber: sich im Zweifel mit Widerspruch und Kritik auseinanderzusetzen – und mit der Möglichkeit, dass Marken auch dort wirken, wo sie nicht intendiert waren.
Wohin also führt die Frage nach dem ökonomischen Wert der Stadtmarke? Zunächst eröffnet sie einen analytischen Zugriff: Die Berechnung des Markenwerts Dortmunds zeigt, dass wirtschaftliche Effekte von Stadtmarken modellhaft erfasst werden können. Die Größenordnung – zwischen einer halben und einer ganzen Milliarde Euro – ist keineswegs marginal. Image, Attraktivität, Wiedererkennbarkeit: All das kann reale ökonomische Entscheidungen beeinflussen – und damit Wert schaffen.
Doch die ökonomische Logik erklärt viel, aber eben nicht alles. Denn was eine Stadtmarke tatsächlich bedeutet, lässt sich nicht nur in Zahlen, sondern auch in symbolischen und sozialen Zusammenhängen erfassen – und nicht selten in den Leerstellen zwischen zwei Slogans. Die Frage verweist auf eine kritische Spannung: Wer Stadtmarken ausschließlich nach ihrem ökonomischen Nutzen beurteilt, reduziert sie auf ein Kommunikationsinstrument im Standortwettbewerb. Doch Marken sind nie neutral. Sie transportieren politische Vorstellungen von Zugehörigkeit, Zukunft und Sichtbarkeit. Wer gehört dazu? Wer wird adressiert – und wer nicht? Die Berechnung des Markenwerts mag strategisch sinnvoll sein – aber sie lenkt auch leicht vom eigentlichen Kern ab: Stadtmarken sind politische Erzählungen, keine ökonomischen Produkte. Und manchmal sind sie auch Selbstgespräche in PowerPoint-Form.
Und schließlich bleibt die Frage nach dem Wert der Marke auch eine existenziell-reflexive: Was heißt es, sich als „die Einzige ihrer Art“ zu beschreiben – und wer erkennt sich in diesem Anspruch wieder? Der eigentliche Wert einer Stadtmarke entsteht nicht durch ihre strategische Auswertung, sondern durch ihre alltägliche Aneignung. Er entsteht dort, wo Menschen sich mit ihr identifizieren, sie infrage stellen, verändern oder weitertragen. Zwischen Zahl und Zeichen, Strategie und gelebter Stadt liegt jener Zwischenraum, in dem sich entscheidet, ob eine Marke nur behauptet wird – oder tatsächlich wirkt.
Unser modest proposal: Stadtmarkenmacher*innen sollten sich künftig verpflichten, ihre Behauptungen mit Zahlen zu unterlegen – und ihre Erzählungen mit Wirkungskontrollen. Wer „Zukunft gestalten“ plakatiert, möge bitte den Return on Narrative berechnen. Wer „Gemeinschaft stärken“ ins Manual schreibt, sollte eine belastbare Metrik für soziale Teilhabe liefern. Warum nicht ein jährlicher Stadtmarken-Report mit nachvollziehbaren Indikatoren: Markenwert in Euro, gestiegene Aufenthaltsdauer, gesunkene Abwanderung, gemessene Identifikation – und als Anhang: eine Liste derer, die sich in der Markenstrategie nicht wiederfinden. Die Schatten der Marke gehören mit in die Bilanz. Das wäre unbequem – sicher. Aber auch ehrlich. Denn Stadtmarken sind längst Teil einer Ökonomie symbolischer Steuerung – und wer sich in dieses Spiel begibt, sollte auch bereit sein, nicht nur Likes zu zählen, sondern Legitimität zu prüfen. Vielleicht ist das der wahre Wert einer Stadtmarke: dass sie nicht nur sichtbar macht, was wir sein wollen – sondern auch das, was wir nicht sehen wollen.