Alles Corporate, oder was?

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Das Infomagazin „BluePrint“ von wirDesign, Braunschweig/Berlin, stellte in einer Ausgabe einige Fragen zum Corporate Design und betitelte das Ganze mit der fragenden Überschrift:

Nun, das alles sind durchaus berechtigte Fragen. Aber ich denke, Corporate Design ist nicht tot. Schließlich führt inzwischen jede noch so winzige oder auch bedeutende Kommunikationsschneiderei „Corporate Design“ in ihrem Portfolio. Dahinter verbirgt sich der verkappte Wunsch, nicht nur ein kleines Stück von der Torte abzusahnen, sondern möglichst von der ganzen zu profitieren. Es handelt sich hier also mehr um eine wortgewaltige Erweiterung der Geschäftsidee als zwingend um ein kommunikativ-intelligentes Anliegen. Zumal auch der Begriff „Corporate“ so schön, so allumfassend, so bedeutend klingt. Schwuppdiwupp steht es im breit gefächerten Angebot.

Doch weil sich inzwischen jede Kreativbude mit „Corporate Design“ brüstet, verfällt die Branche nun in den nächsten, sicher auch im Inflationären endenden Rausch und räumt der „Marke“ eine absolute Vorrangstellung ein. Alles ist jetzt Marke. Alles wird zur Marke. Oder soll und muss dazu werden.

Das wiederum führt unweigerlich zu einem neuen Begriff, dem der „Markenidentität“.

Klingt auch bedeutend, wobei „Corporate Identity“ eigentlich dasselbe meint, aber längst ausgelutscht ist.

Die Industrie und Wirtschaft zeigt sich in diesen Dingen sehr ambivalent.

Beispiel Deutsche Bank: Mit 7000 Prozessen belastet und einem schnöden Aktienkurs sehen die Aktionäre und explizit der Aufsichtsratsvorsitzende den nach wie vor eingesetzten handgeschriebenen Slogan „Leistung aus Leidenschaft“ inzwischen sehr kritisch: „Niemand kann mit dem äußeren Erscheinungsbild sowie mit der Entwicklung des Aktienkurses zufrieden sein“, so der Aufsichtsratsvorsitzende im Mai 2015.

Eigentlich müsste die Weiterverwendung des Slogans nach diesem Kommentar doch obsolet sein. Aber nichts dergleichen passiert. Ich hätte den Herren der Deutschen Bank schon längst zur Ablösung dieses Slogans geraten. Denn: Lieber keinen Slogan als diesen „konterkarierenden“.

Übrigens sind sie mir bei diversen Wettbewerbsveranstaltungen, bei denen es um Geschäftsberichte ging, stets als präsente Teilnehmer aufgefallen, die höflichen und freundlichen Abgesandten der Abteilung Investor Relations der Deutschen Bank. Aber nie habe ich sichtbare Auswirkungen dieser Besuche erlebt. Nie habe ich gesehen, dass sich etwas bewegt. Immer war der Geschäftsbericht der Deutschen Bank im unteren Bereich der Rankings zu finden. Mein Fazit: Es handelt sich hier um eine selbstherrliche Resistenz gegenüber jeglicher Veränderung. Anders ist diese stetige Präsenz der Abgesandten nicht zu erklären. Vielleicht waren sie aber auch nur froh und benutzten jede sich bietende Gelegenheit, der Burg und ihren „Leidenschaftlich Leistenden“ zu entfliehen. Aber das ist nur eine Vermutung.

Jedenfalls fand ich kürzlich auf der rückseitigen Scheibe eines nagelneuen Fiat-Panda folgenden Slogan: „Lieber mit dem Fiat zum Strand als mit dem Mercedes zur Arbeit.“

Das ist das exakte Gegenteil von „Leistung mit Leidenschaft“. Hier eine Karikatur, dort ein Schmunzeln.

Folgen wir also dem Trend „zur Marke“. Dazu gibt es eine interessante Einlassung von Uli Mayer-Johannson, die lange Jahre CEO von MetaDesign in Berlin war.

Sie schreibt: „Mittlerweile ist alles Marke und gleichzeitig führt es dazu, dass keine eindeutige

Zuschreibung mehr gelingen mag. Je mehr wir darunter subsumieren, desto unschärfer,

flimmernder und nichtssagender scheint der Begriff zu werden. Und so werden die Fragen zum

Thema Marke und das Ringen um Klarheit uns wohl lange begleiten.“

Total Identity, das kreative Beratungsbüro aus Amsterdam, das sich mit Identitätsfragen beschäftigt, hat in der 2008 erschienenen Buchpublikation „Identity 2.0“ Gedanken über Organisationen aller Art in ihrem Kontext, insbesondere auch in Bezug auf Marken gesammelt:

Diese Symbolfunktion von Marken verliert an Bedeutung. Die Verwendung der Marke als Symbol für die gesellschaftliche Position, die ein Individuum einnimmt, wird von einem Prozess der gesellschaftlichen Angleichung untergraben. Ironischerweise dienen Statusmarken wie Armani oder Ray-Ban nur noch in den wirtschaftlichen Unterschichten als Symbole des gesellschaftlichen Status. (...) Je mehr wir über die Unternehmen hinter der Marke erfahren, desto schaler wird oftmals der Inhalt der Werbung für ihre Marken, und desto größer wird unsere Irritation angesichts der Exzesse dieser Werbung. Es ist deshalb keine Überraschung, dass diejenigen, die die Diskrepanz zwischen dem Verhalten der Eltern hinter der Marke und der Marke selbst offenlegen, auf teils erhebliche Resonanz in der Gesellschaft stoßen. (...) Schließlich verändert sich auch die Einstellung des Individuums zu Marken und den Unternehmen dahinter. Bis Mitte der 90er-Jahre gab es kaum Interesse für das Unternehmen hinter der Marke. Heutzutage wollen die Verbraucher in der Lage sein, sich mit Unternehmen zu identifizieren, deren Produkte und Dienstleistungen sie kaufen, und nicht mit den abstrakten Symbolen und dem Lebensstil, die in der Werbung für diese Marken vermittelt werden. (...) Im Gegensatz zum ‚Markendenken‘, bei dem es darauf ankommt, sich so schnell und so deutlich wie möglich von anderen Marken zu unterscheiden, diesen Unterschied zu kommunizieren und so die Wertschätzung der Verbraucher zu gewinnen – liegt der Schwerpunkt des Identitätsdenkens darin, Transparenz im Denken und Handeln des Unternehmens zu etablieren.“

Worum geht es eigentlich bei all den hier behandelten Problemstellungen und verschiedenen Begriffen? Es geht doch nicht nur um mögliche „Auftragsgrößen“, hier ein Corporate Design, dort eine zu konkretisierende Identity. Und es geht auch nicht um die kurzfristigen Etablierung einer „Marke“ – derzeit übrigens Mainstream und wiederzufinden unter „Markenidentität“.

Nein, es geht um nicht mehr und nicht weniger als um das „alte“ Ziel der Unternehmensidentität.

Diese mitzugestalten, dazu bedarf es allerdings eines umfassenden und neu auszurichtenden Denkens.

Und zwar von beiden Seiten – von Auftraggebern und Auftragnehmern. Was die Designer betrifft, so setzt diese Forderung zweifellos auch eine grundlegende Neuausrichtung der entsprechenden Studiengänge voraus. Und auf der Auftraggeberseite? Hier muss klar werden, dass man über einen Pitch nicht die passende Agentur mit der dafür notwendigen Manpower rekrutieren kann.

Dazu bemerkt der renommierte  Schweizer Designer Peter Vetter in seinem Buch über „Design als Unternehmensstrategie“ unter der Überschrift „Designer-Casting oder über die Unsitte der Pitchs“:

Meist sind die Ergebnisse von Pitchs vergleichbar mit dem Griff in eine Knopfkiste. Denn

eine vorausgehende, dem Unternehmen angemessene Analyse von vorhandenen und eventuell

neu zu gestaltenden Faktoren, findet bei den Auftrag nehmenden Büros und Agenturen eigentlich nie statt. Zum einen aufgrund der mangelhaften oder aber nicht vorhandenen Einblicke in das zu bearbeitende Geschäftsfeld und zum anderen verursacht durch eine nicht vorhandene bzw. unangemessene Honorierung.

Klar, dass es die mit „Groß-Aufträgen“ geköderten Pitch-Teilnehmer deshalb mit dem „Aufhübschen“ von Vorhandenem versuchen, auch in der Hoffnung, „ein passender Knopf“ könnte schon dabei sein.

Doch wenn überhaupt zu einer Unternehmensidentität beigetragen werden kann, dann kann dies nur

in präzise zu erarbeitenden und sehr konsequent einzuhaltenden fünf Phasen gelingen:

1. Analyse, 2. Hypothese, 3. Synthese, 4. Umsetzung und 5. laufende Bearbeitung.

Dieser Aufwand ist – zeitlich und finanziell – allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn sich beide Teile,

Unternehmen und Gestalter, ihrer Sache sicher sind. Das ist ein Entwicklungsprozess und nicht etwa eine aktionistische „Miss-Beauty-Wahl“ wie man sie derzeit als „Pitch“ veranstaltet.

Das gegenwärtige, daraus erwachsene Unwohlsein der Kreativen gegenüber den Auftraggebern spiegelt sich zunehmend auch in den Kommentaren „schreibender“, ich nenne sie „denkender“ Kollegen wider.

So findet man in Uli Mayer-Johannsen’s kleinem Marken-Buch folgende „Einblicke“:

In ihrem Begleitbrief zu dem zitierten Marken-Buch schrieb mir Uli Mayer-Johannsen:

Einen wesentlichen Ansatz zu einer Neubetrachtung liefert Total Identity. In ihrem lesenswerten Buch  „Identity 2.0“ heißt es hier unter der Überschrift ‚Ethik. Die Jahre nach 2000‘: Balancen.

Ich habe alle zitierten Beiträge aus nur einem Grund ausgewählt: Weil sie unmissverständlich die Erfordernisse eines neuen Denkens einfordern. An erster Stelle sind hier die Unternehmen und ihr Führungspersonal genannt und gefragt. Nur wenige von ihnen haben die Zeichen der kommunikativen Zukunft erkannt – die meisten müssen um-denken, jetzt.

Denn es muss Schluss sein mit dem derzeitigen Usus, dass bei Pitchs um Geschäftsberichte oder andere Projekte schon im Vorfeld „kreative Vorschläge“ erwartet werden! Schließlich können solche Vorschläge allenfalls der (nicht oder nur mäßig honorierten) Phantasie der Teilnehmer entstammen – sie entsprechen nie der vom Auftraggeber erwarteten Unternehmensrealität.

Gerade am gedruckten Medium Geschäftsbericht kann man grundlegend feststellen, wie konsequent oder inkonsequent ein Unternehmen sein „visuelles Bild“ pflegt, verteidigt oder es dem freien Spiel der Kräfte und der Zeiten überlässt.

Es ist deshalb nur zu hoffen, dass wir in diesem Bereich wieder zur Ernst- und Sinnhaftigkeit zurückkehren. Denn anders sind die Herausforderungen, denen sich die Kommunikationsbranche  zukünftig mehr denn je stellen muss, nicht zu meistern.

13. August 2025
Ein Beitrag von:

Olaf Leu (1936 *) begann seine Laufbahn als typografischer Gestalter in der Bauerschen Giesserei, war Assistent des Creative Directors bei der Werbeagentur Hanns W. Brose und machte sich 1971 mit seinem eigenen Studio in Frankfurt am Main selbstständig. Als Kalender-Papst und unkonventioneller Verpackungsdesigner machte er sich ebenso einen Namen, wie als langjähriger Leiter des Prüfsegments Optik im Jahreswettbewerb „Die besten Geschäftsberichte“ des manager magazins. Er ist „gleichermassen scharfsinniger, wie schlagfertiger Design-Denker und -Journalist" – wie es in der 2018 gehaltenen Laudatio zur Aufnahme als Ehrenmitglied der Typografischen Gesellschaft München hieß – brachte den TDC, den ADC of New York und Japanisches Design nach Deutschland und ist Kritiker von Designwettbewerben, die er in so mancher Ausprägung „Bluff“ nennt. Die Messlatte des gestalterischen wie ethischen Anspruchs an sich selbst und an seine Designkollegen liegt im Hochpräzisionsbereich, wie auch in seinen autobiografischen Werken „Bilanz 1951 bis 1970“ - „Bilanz 1971 bis 2011“ - „i.R.“ und „R/80“ sowie im „Das Letzte Interview“ nachzulesen ist.

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