Bilder machen Marken.

PERSPECTIVES
[atlasvoice]

Neulich war ich auf einer Party von Dafi Kühne, einem meiner ehemaligen Studenten und inzwischen sehr bekannten Gestalter. [1] Er druckt all seine Arbeiten selbst, sodass sein Studio eigentlich ein Buchdruckmuseum ist. Er hat eine alte Heidelberg, Handsatz und eine Linotype sowie wunderbare Holzschriften vom Feinsten. Ich habe all diese Kostbarkeiten bewundert, die ich aus meiner Jugend aus der Druckerei meines Grossvaters kenne. Unter anderem beobachtete ich eine Reihe von Farbdosen, darunter eine von Gebr. Schmidt Druckfarben. Fast automatisch erschien vor meinem geistigen Auge eine Anzeige in einem Rotton: rot in rot, die Silhouette des Mount Fuji, und unten am rechten Rand dezent die Firma Gebr. Schmidt Druckfarben, unterstrichen von ein paar Quadraten in den CMYK-Farben. Und gleich noch eine zweite Anzeige: blau in blau, mit einem kleinen Pferd vor ein paar Hügeln. Am Tag darauf musste ich nachschauen, aber die Anzeigenserie stammt tatsächlich aus dem Jahr 1969. Erst später erfuhr ich, dass sie von meinem Freund Olaf Leu gestaltet wurde. Es ist also tatsächlich so, dass ich diese Bilder und diese Marke nach so vielen Jahren immer noch „gespeichert” habe, obwohl ich nie Druckfarben gekauft habe. In meinen 60 Jahren Berufserfahrung habe ich nie eine Druckerei nach der Marke der verwendeten Druckfarben gefragt. Es sind einfach zwei geniale, suggestive Bilder, die mich dermassen beeindruckt haben.

Ähnlich starke, ikonische Bilder sind die eines anderen Freundes: des im Januar leider verstorbenen Oliviero Toscani. Bilder wie die mit der schwarzen Kinderhand auf der Hand eines weissen Erwachsenen, das Bild der Nonne und des Geistlichen, die sich küssen, oder die drei Kinder, schwarz, weiss und asiatisch, die die Zunge herausstrecken, sind es, durch die Benetton weltbekannt wurde. Oder die fantastische Kampagne „Think Different” für Apple, die 1997 von Jennifer Golub zusammen mit Jessica Schulman Edelstein und Yvonne Smith von der Agentur TBWA/Chiat/Day kreiert wurde. Die Porträts von Miles Davis, Maria Callas und Albert Einstein waren neben andern im Skyscraper-Format in Manhattan zu sehen. Auch die „Shout on iPhone” Plakate aus dem Jahr 2015 mit den riesigen Bildern, die die Qualität der iPhone-Kamera eindrucksvoll beweisen, sind mir in Erinnerung geblieben. Und dann fällt mir eine ebenso starke Anzeigenserie von Tiffany aus den späten 1990er Jahren ein, bei der Bilder ohne Text oder Logo verwendet wurden, auf denen als kleines Detail im Bild irgendwo ein kleines Geschenkpaket in den typischen Tiffany-Farben zu sehen war. Diese Bilder werden unmittelbar als Tiffany erkannt, weil das sogenannte Tiffany Blue wie ein Logo wirkt. Charles Lewis Tiffany hatte nämlich schon 1845 die geniale Idee, die Farbe und nicht das Logo schützen zu lassen. In den vorgestellten Beispielen beziehe ich mich auf statische Bilder, aber das gilt natürlich ebenso für Bewegtbilder oder Animationen. „Breakfast at Tiffany's” ist schliesslich der beste Beweis dafür.

Was sagen uns diese wenigen Beispiele? Es heisst, die visuelle Wahrnehmung macht 80 % dessen aus, was unser Gehirn aufnimmt. Der Mensch hat fünf Sinne, er kann sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen. Und trotzdem nimmt er fast 80 % seiner Umgebung über die Augen wahr, nur 11 % über die Ohren. Der Mensch denkt, träumt und spricht in Bildern [2]. Durch Social Media und Smartphones ist das Bild zusätzlich zum Basismedium geworden. Immanuel Kant sagt in seiner Erkenntnistheorie sinngemäss: „Ohne Anschauung (Vorstellung) gibt es keine Erkenntnis.“ Das Wort „vorstellen“ finden wir im Italienischen „immaginare“ und dann im Englischen „to imagine“ [3]. Beide Begriffe haben ihren Ursprung im lateinischen Wort imāgo, imāginis (Bild, Abbild, Erscheinung) und imāginārī (sich vorstellen, sich ein Bild machen). Diese Erkenntnis können wir direkt auf unsere Fragestellung anwenden: Marken werden nur verstanden, wenn sich die Zielgruppen eine Vorstellung machen können, respektive ein Bild abrufen können, das für ebendiese Marke steht.              

Um diese Vorstellung geht es dabei zentral. Wenn eine Bank wie die UBS hier in der Schweiz viel Geld ausgibt, um ihren Hauptsitz in bester Lage in Zürich attraktiv zu gestalten, dann tut sie das, um das Markenimage zu stärken. Gerade weil man mit der Bank nur noch online verkehrt, ist es wichtig, beispielsweise die Vorstellung von der Solidität der Bank sichtbar zu machen. So kann sich ein Kunde vorstellen, dass sein Geld an einem sicheren Ort aufbewahrt wird und nicht in einer „Cloud” versteckt wird. Mit anderen Worten: Je virtueller der Dialog mit den Zielgruppen ist, desto wichtiger werden alle Formen und Symbole, die die Vorstellung einer Marke prägen – deshalb machen Bilder Marken. Das ist eine sehr simple Erkenntnis aber genau diese elementaren Konzepte werden in den aktuellen Diskussionen zu oft vergessen.

[1] https://www.babyinktwice.ch und Kühne, Dafi (2017) True Print. Lars Müller Publishers, Zürich

[2] https://www.kontextlab.com Autor Scholz, Bernard. Visuelle Wahrnehmung über Augenmenschen und Sinneshirarchien.

[3] Kant, Immanuel (1781). Kritik der reinen Vernunft.Philipp Reclam jun. Verlag, Ditzingen

24. November 2025
Ein Beitrag von:

Als Designer und Berater hat Peter Vetter seit fast 60 Jahren in Italien, Deutschland, Schweiz, Japan, den USA und China für erfolgreiche Marken und Institutionen unter anderen La Rinascente, JCPenney, BMW Group (weltweit), IBM, Clifford Chance, Ministero della Cultura (Italien), Autorità Portuale di Palermo, Museum of Fine Arts Houston, Zentrum Paul Klee oder der Stadtverwaltung Rapperswil-Jona, gearbeitet. Zunächst mit seinem Studio BBV in Mailand, dann als Partner und Creative Director von Zintzmeyer & Lux, als Senior Vice President von Vignelli Associates und seit 1999 zusammen mit Katharina Leuenberger mit dem Studio Coande – Communication and Design in Zürich.

Peter Vetter war Präsident des Verbandes Schweizer Grafiker, Dozent und Leiter der Abteilung Visuelle Kommunikation (BA und MA) an der Zürcher Hochschule der Künste und half beim Aufbau einer internationalen Designhochschule in Shenzhen (China), wo er bis heute tätig ist. Er ist Autor verschiedener Publikationen, darunter „Kein Stil – Ernst Keller 1891–1968” und „Design als Investition – Design und Kommunikation als Management Tool”. Seine Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet und in allen renommierten internationalen Medien veröffentlicht.

Kontakt: p.vetter@coande.com
Website: www.coande.com

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