Zu den Fußnoten in der Markenerzählung.
Eine Fußnote ist ein seltsames Wesen. Sie existiert innerhalb des Textes und gleichzeitig außerhalb. Sie gehört dazu, aber nicht zum Kern. Sie trägt Bedeutung, doch ihre Gestaltung – kleiner gedruckt, an den Rand verbannt – lässt sie sofort wie etwas erscheinen, dem nicht viel Bedeutung zukommt. Der Haupttext dagegen steht in größerer Typografie auf der Bühne, im Rampenlicht der Erzählung. Die Fußnote bleibt im unteren Rand zurück: leise, präzisierend, dienend. Sie ist der Ort des Wissens, aber nicht des Ruhms. Und gerade darin liegt ihre eigentliche Kraft – eine Kraft, die viel größer ist, als es ihre Position vermuten lässt.
Um zu erkunden, was dies möglicherweise mit Marken zu tun haben könnte, lohnt ein genauer Blick auf die Fußnote selbst. In ihrer Kulturgeschichte war sie nie nur ein technisches Element, sondern immer auch ein kultureller Code: ein Hinweis darauf, wie ein Text gelesen werden möchte und welchen Anspruch er erhebt. Aus diesem Code haben sich vier grundlegende Funktionen herausgebildet. Erstens: Ergänzung. Die Fußnote sagt: „Das gehört auch dazu.“ Sie erweitert, stützt, liefert Belege. Zweitens: Korrektur. Sie sagt: „Ganz so einfach ist es nicht.“ Sie relativiert, stellt richtig, hält den Text intellektuell ehrlich. Drittens: Entlastung. Sie sorgt dafür, dass der große Gedanke im Haupttext klar bleiben kann, während sie das Notwendige trägt, das dort keinen Platz findet. Und viertens: Bedeutung. Sie markiert den Anspruch eines Textes, signalisiert dessen Tonlage und verleiht dem Gesagten jenen kulturellen Ernst, den der Haupttext allein nicht immer tragen kann. So wird die Fußnote zu einer präzisen, tragenden Strukturinstanz – und zugleich zu einem typografisch marginalisierten Ort, der gerade durch seine Randposition kulturelle Bedeutung gewinnt.
Diese paradoxe Verbindung – entscheidend und doch verdrängt – prägt ihre Rolle. Schreibende schätzen sie oft gering, behandeln sie wie ein Ablagefach für das, was nicht ins Narrativ passt. Lesende überfliegen sie oder ignorieren sie, als gehörte sie nicht zur eigentlichen Erzählung. Und doch enthält sie das, was den Text zusammenhält, was ihn erdet, was ihm Tiefe gibt – all das, was nicht im Rampenlicht steht und dennoch den Gedanken trägt: Ergänzung, Korrektur, Entlastung, Bedeutung. Wer die Fußnote nicht liest, sieht den Text, aber versteht ihn nur halb. Hier beginnt die stille Adelung der Fußnote: Sie ist das tragende Fundament im Schatten des Glanzes.
Sehr deutlich zeigt sich diese Haltung in der Wissenschaft. Dort gilt: Ein Text ohne Fußnoten rutscht sofort ins Feuilleton, in den Journalismus oder ins Essayistische hinab – lesbar vielleicht, aber nicht „wissenschaftlich“ genug. Dies ist ein kultureller Reflex, kein Naturgesetz. In der Wissenschaft markiert die Fußnote den Habitus des Belegens: Sie verleiht der Behauptung das Flair des Beweises und der Erzählung den Anstrich der Argumentation. Im Feuilleton, im Journalismus oder im Essay dagegen dient sie – wenn sie überhaupt auftaucht – eher als stilistisches Augenzwinkern, als Hinweis auf ein dahinterliegendes Reservoir an Wissen, nicht als strenger Nachweis. Die Art, wie der Rand genutzt wird, entscheidet mit über den Ton des Textes: Er deutet an, welchen Anspruch ein Text stellt – wissenschaftlichen, journalistischen oder essayistischen. Was wie eine Nebensächlichkeit aussieht, steuert die Wahrnehmung des Wesentlichen.
Genau darin liegt die überraschend präzise Parallele zur Markenwelt. Auch hier gibt es Sichtbare und Unsichtbare, Haupttexte und Fußnoten. Die Branche verhält sich, als seien nur jene Marken „echte“ Marken, die in Rankings auftauchen, auf Bühnen stehen, Fallstudien füllen und in den Medien ausreichend Präsenz zeigen. Doch weltweit entstehen jedes Jahr Millionen neuer Marken, und selbst wenn man juristische Formalitäten ignoriert, bleibt eine kaum überschaubare Fülle von Identitäten. Setzt man sie in Relation zu den wenigen Hundert, die regelmäßig Aufmerksamkeit erhalten, entsteht ein Verhältnis, das astronomisch wirkt: Für jede Marke, die wir kennen, existieren Abertausende, die wir nicht kennen. Nicht wegen mangelnder Qualität, sondern wegen struktureller Wahrnehmungsökonomie. Man könnte es auch anders ausdrücken: Wäre die Markenerzählung ein Text, hätte dieser vielleicht 300 Seiten – und rund drei Millionen Fußnoten. Der Haupttext wäre knapp und gut lesbar, während sich am Rand eine unendliche Landschaft von Marken überlagert, verdrängt, verdichtet. Und wie in jedem Text gilt: Das Entscheidende steht nicht immer oben.
Die Fußnotenmarken übernehmen – wie die Fußnote selbst – vier Funktionen im Markt. Sie ergänzen das Angebot, indem sie Vielfalt, Nischen und regionale Besonderheiten ermöglichen. Sie korrigieren Marktverhältnisse, indem sie Alternativen schaffen und Preisdruck ausgleichen. Sie entlasten die großen Marken, indem sie die Funktionsmechanik des Alltags stabilisieren. Und sie verleihen Bedeutung, indem sie markieren, was in einer Kategorie als normal, erwartbar oder typisch gilt und damit den tonalen Rahmen setzen, an dem sich die sichtbaren Marken orientieren. Ohne diese vier Funktionen gäbe es keine wirkliche Auswahl, keine Preisspanne, keine differenzierte Versorgung. Sie sind das infrastrukturelle Rückgrat, das selten gewürdigt wird. Sie sind die stillen Trägerinnen eines Marktes, der sich gern mit seinen Hauptfiguren schmückt. Doch genau wie Fußnoten im Text werden auch diese Marken oft nur flüchtig wahrgenommen. Sie stehen im Regal, aber selten als Marke im Gedächtnis – eher als Option, als Preis, als Verfügbarkeit, nicht als erzählbare Identität. Ihr Beitrag entfaltet sich jenseits der Aufmerksamkeit. Ihr Wert entsteht im Funktionieren, nicht im Glänzen. Und wiederum gilt: Nicht das Übersehene ist unbedeutend, sondern der Blick ist mangelhaft.
So leben wir in einer Welt einer Überproduktion des Unmerklichen – und darin liegt eine grundlegende Asymmetrie. Denn das Unmerkliche ist nicht gleichbedeutend mit dem Unwichtigen. Oft trägt gerade das, was kaum auffällt, das Entscheidende in sich: die Variation, die Wahlmöglichkeit, die stille Stabilität des Alltags. Doch je mehr Marken entstehen, desto größer wird jene Zone des Nichtwahrgenommenen. Aufmerksamkeit ist ein rares Licht, das sich auf wenige, helle Marken konzentriert, während der überwiegende Rest im Seitenblick verharrt.
Für die Mehrzahl der Markenmacher*innen bedeutet das: Sie arbeiten in einem Raum struktureller Unsichtbarkeit. Sie gestalten Bedeutungen für Marken, die nicht als Bedeutung gelesen werden. Sie schaffen Identitäten, deren Wert im Funktionieren liegt, nicht in der Sichtbarkeit. Vieles davon erinnert an Fußnotenarbeit: sorgfältig, präzise, essenziell – aber kaum beachtet.
Strategisch ist es eine Welt mit einem hartnäckigen Missverständnis: dass jede Marke Anspruch auf kulturelle Relevanz hätte. Markenführung operiert häufig mit dem impliziten Versprechen, jede Marke könne ganz nach oben. Doch das Podest ist kein Massenmöbel. Die Folge ist eine Verschwendung von Energie – nicht aus Unvermögen, sondern aus der Weigerung, die eigene Fußnotenhaftigkeit als sinnvolle Rolle zu akzeptieren. Die Adelung der Fußnote besteht darin, diese Rolle nicht nur hinzunehmen, sondern als wertvolle Position zu begreifen.
Das Missverständnis liegt im Verhältnis von Sichtbarkeit und Wert. Eine Fußnote ist nicht weniger bedeutend als der Haupttext – sie ist nur weniger sichtbar. Das Problem ist nicht, dass es Fußnotenmarken gibt, sondern dass die Branche diese Existenzform verleugnet, statt sie strategisch zu würdigen. Denn eine gut gemachte Fußnote hält das System zusammen. Der Haupttext enthält schließlich nicht immer alles Wesentliche; manches steht nur am Rand – kleiner, leiser, aber entscheidend.
Daher mein modest proposal: Wenn die meisten Marken Fußnoten sind, warum verpflichten wir sie nicht dazu, dies klar und selbstbewusst anzugeben? Ein schlichter Hinweis würde genügen: „Diese Marke agiert im Fußnoten-Cluster der Kategorie.“ Ob Konsument*innen dies verstehen, ist fast nebensächlich – sie überlesen es vermutlich genauso wie jede echte Fußnote. Entscheidend ist das Bekenntnis. Kein Makel, sondern ein Akt struktureller Ehrlichkeit. Es würde die Branche entlasten, Marketingteams vor überzogenen Erwartungen bewahren und zugleich daran erinnern, dass das Wesentliche nicht immer auf der Bühne steht. Die Fußnote ist kein Mangel, sondern eine Leistung. Sie ist kein Randphänomen, sondern ein Fundament. Und sie ist, richtig verstanden, längst geadelt.
