The Business of Brand Management
A Modest Proposal

Ethik und Marketingberatung?

Jürgen Häusler kommentiert

Neben Waren wie Antibiotika, Mikroprozessoren und Personalcomputern gehörten auch Dienstleistungen (wie fast food-Restaurants) zu den Wachstumstreibern und Erfolgsschlagern der USA nach dem zweiten Weltkrieg. Zu den erfolgreichsten Dienstleistungen zählten nicht zuletzt consulting services. Beratungsunternehmen und Berater*innen sind inzwischen prägende Merkmale der Zeit. Um die Sozialfigur der Berater*in in der Markenwelt detaillierter zu betrachten, nähern wir uns von der Seite der klassischen Unternehmensberatungen – die ja sicher auch die Figur der Berater*in vordringlich definiert haben und noch immer bestimmen.

In dieser Branche ist der dominante Anbieter längst zur führenden Weltmarke geworden: McKinsey. Näher betrachten wollen wir einen Grenzfall (historisch gesehen stellt die Opioide-Krise keinen absoluten Ausnahmefall dar, erinnert sei beispielsweise an die Diskurse zu Tabak und Lungenkrebs oder softdrinks und obesity). Es geht um die Beratung der Firma Purdue durch McKinsey bei den Vermarktungsaktivitäten von Opioiden (OxyContin) (https://www.nytimes.com/2020/11/27/business/mckinsey-purdue-oxycontin-opioids.html). Bemerkenswert an dieser Geschichte ist zunächst, dass McKinsey – vornehmlich bekannt für Kostenreduktion und Effizienzsteigerung und politisch regelmässig angegriffen als ,Totengräber der Mittelschichten’ – sich auch um Umsatzsteigerung, Verkaufsförderung, Vermarktung und Markenentwicklung kümmert (ohne dass die Marke dieses Feld aktuell bereits prominent besetzen könnte). Dann erstaunt (wieder einmal) die Machtfülle: während Markenmacher*innen meist mit der sogenannten Fachebene in Unternehmen zusammenarbeiten (dem Marketing, dem Markenmanagement), vereinzelt auch in Vorständen Ansprechpartner*innen finden, verhandelt McKinsey offensichtlich direkt mit den Eigentümer*innen (der Familie Sackler): „The meeting ,went very well – the room was filled with only family“.

Erwartungsgemäss setzen die Berater*innen alle Hebel der Verkaufsförderung in Bewegung (während an anderen Stellen in der Kommunikationsbranche geradezu verzweifelt nach ,integrierter Kommunikation’ gerufen wird). Diese tragen die vielfältigsten Titel: aggressive marketing, turbocharge sales, misleading doctors and patients, patients pushback, lobbying. Die beraterischen Unterstützungsleistungen umfassen die Entwicklung von generellen Verkaufsstrategien und -taktiken, Positionierungsideen und Kommunikationsstrategien, Vereinbarungen mit Distributoren, Verhaltensregeln für Vertriebspersonal und Rabattierungskonzepten sowie die Aktivierung von positiven testimonials von Patentient*innen.

Die moralischen Vorstellungen, die das Denken und Handeln antreiben und rechtfertigen, können nicht überraschen. Nachdem der eigene Gewinn gesichert ist, geht es uneingeschränkt um die Vertretung der Interessen der Kund*innen: „put client interests ahead of the firm’s.“ Die herrschende Moralökonomie fasst ein ehemaliger Berater von McKinsey, Anand Giridharadas, so zusammen: „This is the banality of evil, M.B.A. edition, […] They knew what was going on. And they found a way to look past it, through it, around it, so as to answer the only questions they cared about: how to make the client money and, when the walls closed in, how to protect themselves.“ Im vorliegenden Fall sind als clients die Besitzer*innen des Unternehmens gemeint: Selbst das dortige Management scheint dem Beratungsunternehmen lediglich zu folgen (statt es zu beauftragen und zu führen): „Russell Gashdia, then Purdue’s vice president of sales and marketing, questioned the firm’s [McKinsey’s] approach [… he] had real concerns on the need to turbocharge sales of OxyContin.“ Schließlich haben Konsument*innen zwar kein Mitsprachrecht, spielen aber eine wesentliche Hauptrolle: sie schlucken die Pillen.

Am Ende ist McKinsey (gemeinsam mit anderen Akteur*innen) erfolgreich. Der Umsatz des Kunden steigt. Die Schmerzbeschwerden in den USA nehmen zu. Die Zahl der dagegen geschluckten Pillen steigt. Die Nachfrage nach den Opioiden erhöht sich. Auf die USA entfallen etwa 80 Prozent des globalen Konsums von Opioiden. Statistisch werden jeder US-Amerikaner*in mehr als eine Flasche Schmerzpillen pro Jahr verschrieben. Der massiv überproportionale Anteil der USA am Schmerzmittelmarkt hat sicher mehrere und komplexe Ursachen. Drei werden immer wieder genannt. Danach werden in den USA Opioide von Ärzt*innen schneller, in höheren Dosen, über längere Zeit und mit weniger Nachkontrollen verschrieben. Patient*innen werden von ihren Ärzt*innen weniger nachhaltig über die Nebenwirkungen informiert, verteilen ihre zu viel verschriebenen Pillen bedenkenlos an Verwandte und Bekannte weiter, nutzen das doctor shopping dazu, bei mehreren Ärzt*innen gleichzeitig mehrere Verschreibungen zu erhalten und vertreten politisch aktiv ihr Recht auf uneingeschränkte Schmerzmilderung. Schließlich wird durchgängig das Verhalten der Hersteller für den Missbrauch der Medikamente und die aktuelle Epidemie verantwortlich gemacht. Mangelnde Informationen zu den möglichen Nebenwirkungen werden ebenso angegriffen wie „aggressives Marketing“.

Wie reagiert McKinsey? Für die fehlende Beachtung möglicher unintended consequences – so jedenfalls die wenig überzeugende Schutzbehauptung – ihrer verkaufsfördernden Beratertätigkeit, des erfolgreichen turbocharging – über 450.000 Tote seit 1999 – entschuldigt sich McKinsey schließlich. Ein Schuldeingeständnis der Berater*innen wird damit nicht verbunden. Allerdings entstehen hohe Kosten für das Beratungsunternehmen: fast 600 Millionen US-Dollar, um mithilfe eines Vergleichs einem Gerichtsverfahren zu entgehen (https://www.nytimes.com/2021/02/03/business/mckinsey-opioids-settlement.html).

Ansonsten bleibt es auch bei McKinsey bei der zeitgemässen und vorbildlichen Formulierung der Mission des Unternehmens: „Our purpose as a firm is to help create positive, enduring change in the world.“ … Mein modest proposal: Ein Moratorium für das Geschwätz zum Purpose – zunächst einmal zumindest bis die Opioid-Krise vorüber ist. Aus Respekt vor den mehr als Hundert Überdosis-Toten in den USA – pro Tag.

Ein Beitrag von:
10. Februar 2021

Über den Autor:

Prof. Dr. Jürgen Häusler ist Honorarprofessor für strategische Unternehmenskommunikation an der Universität Leipzig. Bis zum Eintritt in den Ruhestand 2015 war er Chairman bei Interbrand Central and Eastern Europe, und hat Unternehmen und Organisationen weltweit bei der Entwicklung von Marken beraten. Als Sozialwissenschaftler hat er u.a. am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln gearbeitet.

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