Stadt oder Marke?

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City Branding als neue Form des städtischen Regierens.

Frühe Formen der Stadtforschung im 19. Jahrhundert betrachteten die Stadt als krisenanfälliges, „krankes“ soziales Gebilde, das mit wissenschaftlichen Mitteln analysiert, klassifiziert, geordnet und geheilt werden sollte. Rolf Lindner (2004) zeigt in Walks on the Wild Side. Eine Geschichte der Stadtforschung, wie sehr Stadtforschung stets auch ein Projekt der sozialen Kontrolle war – mit dem Ziel, urbane Räume durch Kartierung, Etikettierung und Sichtbarmachung regierbar zu machen.

Was im 19. Jahrhundert als kartografische Erfassung begann, setzt sich im 21. Jahrhundert in Form symbolischer Steuerung fort. Im Sinne einer gouvernementalen Perspektive (Foucault) lässt sich City Branding als Technik verstehen, durch die Verhalten nicht vorgeschrieben, sondern durch normative Rahmung nahegelegt wird. An die Stelle technokratischer Planungsinstrumente treten narrative, visuelle und affektive Praktiken, die darauf zielen, die Stadt nicht nur funktional, sondern auch emotional und symbolisch steuerbar zu machen. Unter den Bedingungen von Globalisierung, Standortkonkurrenz und Urban Governance rückt die symbolische Repräsentation der Stadt in den Vordergrund. Stadtmarken stehen für eine Politik der Sichtbarkeit, die darauf abzielt, die Stadt als attraktives Produkt auf globalen Märkten zu positionieren. City Branding bedeutet, die Stadt auf eine identitätsstiftende, strategisch nutzbare Erzählung zu reduzieren (Häusler, E., & Häusler, J. Wie Städte zu Marken werden. Wiesbaden: Springer, 2023). Die komplexe urbane Wirklichkeit wird dabei in eine symbolische Ordnung überführt, die selektiert, was zur Marke passt – und ausblendet, was nicht kompatibel ist: beispielsweise Armut, Konflikt, Widerstand.

Auf den ersten Blick erscheint City Branding als ein weicher, kultureller Prozess, der Partizipation, Kreativität und Emotion betont. Tatsächlich aber handelt es sich um eine neue Form der Steuerung: nicht durch Vorschrift, sondern durch affektive Rahmung. Stadtmarken disziplinieren, indem sie normative Erwartungen an die Stadtgesellschaft formulieren: wie sie sich geben, wofür sie stehen, welche Identität sie annehmen soll. Sie wirken nach innen wie nach außen – erzeugen Identifikation und Erwartungshaltungen innerhalb der Stadtbevölkerung und differenzieren im globalen Standortwettbewerb.

In technokratischer Stadtforschung und City Branding zeigt sich ein gemeinsames Motiv: die Reduktion urbaner Komplexität zugunsten steuerbarer Ordnung. Was einst durch Zonenmodelle, Karten und Planungsvorgaben geschah, geschieht nun durch Narrative, Visualität und symbolische Kohärenz. Branding ist dabei kein bloßes Marketinginstrument, sondern ein Mittel der Wissensproduktion und symbolischer Stadtgestaltung: Es beschreibt die Stadt nicht nur neu – es formt, was als "die Stadt" zu gelten hat. City Branding ist eine postmoderne Fortsetzung technokratischer Stadtsteuerung mit anderen Mitteln. Die Stadt wird nicht mehr nur geplant – sie wird inszeniert. Auch diese Inszenierung folgt einer Logik der Kontrolle: über Sichtbarkeit, Ästhetik und erzählerische Geschlossenheit. Wer über Stadt spricht, spricht nie nur über Raum – sondern immer auch über Macht.

Die Kontinuität macht deutlich: Stadt ist nie neutral, sondern immer ein umkämpfter Ort symbolischer Zuschreibungen. Die Marke ersetzt nicht den Plan – sie aktualisiert ihn in affektiver, visuell codierter Form. Als neueste Stufe einer langen Geschichte urbaner Regierungsbemühungen verdichtet die Stadtmarke den Versuch, das Urbane zu ordnen, zu vereinheitlichen und strategisch nutzbar zu machen.

Die Kritik daran bleibt hochaktuell: Stadt darf – im Sinne des Right to the City (Henri Lefebvre) – nicht auf Image, Marke oder Funktion reduziert werden. Sie muss als widersprüchlicher, offener Raum verstanden werden, in dem urbane Komplexität nicht nur ausgehalten, sondern sozial und ökonomisch fruchtbar gemacht wird. Über die urbane Zukunft muss deshalb immer offen, konflikthaft und kollektiv verhandelbar gesprochen werden – jenseits vorgefertigter Narrative und strategischer Markenmodelle. Am Ende bleibt die zentrale Frage: Wollen wir Städte menschlich gestalten oder ökonomisch vermarkten? Humaner Lebensraum oder kommerzielle Ware? Stadt oder Marke?

15. Mai 2025

Dr. Eric Häusler ist Historiker und Urbanist. Sein aktuelles Forschungsprojekt am Insitut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) an der ETH Zürich ist einem Vergleich vergangener urbaner Zukunftsvorstellungen in Tokyo und New York in den 1960er-Jahren gewidmet. Als Gastwissenschaftler war er unter anderem an der Sophia University in Tokyo, an der New School for Social Research und der New York University. Zu seinen weiteren Forschungsschwerpunkten gehören die kritische Auseinandersetzung mit Fragen des Stadtmarketings und das wachsende Feld der Global Urban History.

 

Prof. Dr. Jürgen Häusler ist Honorarprofessor für strategische Unternehmenskommunikation an der Universität Leipzig. Bis zum Eintritt in den Ruhestand 2015 war er Chairman bei Interbrand Central and Eastern Europe, und hat Unternehmen und Organisationen weltweit bei der Entwicklung von Marken beraten. Als Sozialwissenschaftler hat er u.a. am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln gearbeitet.

Kontakt: juergenghaeusler@gmail.com

 

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