Bei Purpose geht es nicht darum, dass Unternehmen „auch Gutes tun“ oder einen Teil ihrer Gewinne in soziale Projekte reinvestieren, sondern darum, dass Unternehmen die Verantwortung dafür übernehmen, eine neue Kultur des Wirtschaftens zu etablieren.
Das Konzept „Purpose” und das Verständnis dahinter werden in Marketing- und Management-Kreisen intensiv diskutiert. Günther Misof hat die unübersichtliche Lage im Auftaktbeitrag dieser Artikel-Serie prägnant zusammengefasst (Purpose makes a Man). Wir wollen mit unserem Beitrag einen Weg aufzeigen, sich von einer zähen Begriffs- und Hoheitsdiskussion zu lösen. Denn „Purpose“ kann ein Baustein sein, der zu im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltigen Veränderungen des Wirtschaftssystems führt – von denen sowohl Unternehmen und Marken als auch das Gemeinwohl in Form von echter Wertschöpfung profitieren können.
„Purpose“ macht es einem nicht unbedingt leicht. Ein englischer Begriff, der sich auf eine Vielzahl von Bedeutungen übersetzen lässt. Dann soll außerdem nicht weniger als der Zweck von Unternehmen neu definiert werden, wobei „Zweck“ noch eine der trockensten Übersetzungen ist. Nach unserem Verständnis vollbringt der Begriff jedoch eine ziemlich große Leistung. Er steht für eine Herangehensweise an wirtschaftliche Tätigkeit und Wertschöpfung – und betrifft somit auch stark die Markenführung – die einen Paradigmenwechsel bedeutet. Dieser Paradigmenwechsel liegt in dem, was Harvard-Professor Michael Porter 2011 mit seinem Co-Autor Mark Kramer als „Shared Value“ bezeichnet hat: wirtschaftlichen Wert auf eine Weise zu schaffen, die auch einen Wert für die Gesellschaft generiert, indem man auf ihre Bedürfnisse und Herausforderungen eingeht.
Bei Purpose geht es nicht darum, dass Unternehmen „auch Gutes tun“ oder einen Teil ihrer Gewinne in soziale Projekte zu reinvestieren, sondern darum, dass Unternehmen die Verantwortung dafür übernehmen, eine neue Kultur des Wirtschaftens zu etablieren. Dies erfordert in einem ersten Schritt die Einnahme einer entsprechenden Haltung. Damit ist es jedoch nicht getan. Die von Unternehmen und Marke eingenommene Haltung muss übersetzt werden in konkrete Anknüpfungspunkte, die die Leistungserbringung selbst betreffen und somit kunden- und marktrelevant sind. Diese Strategie ist keinesfalls ein Selbstzweck. Indem Unternehmen ihren Erfolg mit einem sozialen oder gesellschaftlichen Beitrag verbinden, ergeben sich häufig Ideen für bahnbrechende Innovationen, die Erschließung neuer Märkte oder neuer Zielgruppen sowie Einsparpotentiale, die ohne Purpose unentdeckt geblieben wären. Porter und Kramer bringen es auf den Punkt: “Profits involving a social purpose represent a higher form of capitalism—one that will enable society to advance more rapidly while allowing companies to grow even more.”
„Es gilt neu zu verhandeln, was den Wohlstand der Menschen übermorgen ausmacht. Dafür brauchen wir neue Begriffe und Konzepte, die ausdrücken, was wir künftig wichtig finden.“
Prof. Dr. Maja Göpel, Politikökonomin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin.
Entscheidend für die Etablierung dieser höheren Form des Kapitalismus ist die Verbindung von unternehmerischer Wertschöpfung und Gemeinwohl. Über die Verankerung von Purpose in Wertschöpfungskette (oder in Zukunft möglichst -Kreislauf) und Geschäftsmodell kommen erst die businessrelevanten Vorteile des Konzeptes zum Tragen, die erfolgreiche Unternehmensentscheider überhaupt dazu veranlassen können, sich auf einen solchen Paradigmenwechsel einzulassen. Wir schlagen daher zur Begriffsklärung folgendes Verständnis vor:
„Purpose ist der höhere Zweck eines Unternehmens, der über die alleinige Gewinnorientierung hinaus geht. Das Ziel ist dabei die Definition und Einlösung eines langfristig Mehrwert-schaffenden Versprechens, entweder im lokalen Umfeld eines Unternehmens oder dem globalen Marktumfeld, das in direktem Zusammenhang mit der Wertschöpfung des Unternehmens steht.“
Immer mehr Unternehmen und Marken setzen einen solchen Paradigmenwechsel in die Tat um – unterschiedlich schnell, unterschiedlich konsequent. Social Business Gründungen wie Lemonaid oder Viva con Agua haben es in diesem Sinne natürlich einfacher, da sie sich von Anfang an purpose-orientiert ausrichten können. Für etablierte Marken ist der Weg das Ziel. Denn dies wird von der großen Mehrheit an Stakeholdern honoriert, da den meisten klar ist, dass effektive Veränderungen in den seltensten Fällen von heute auf morgen zu realisieren sind.
So zum Beispiel die DKB: Lange eine „normale“ Direktbank, hat sich das Unternehmen unter dem Motto „Geldverbesserer“ dafür entschieden, die Einlagen ihrer Kunden ausschließlich für soziale und ökologische Projekte in Deutschland einzusetzen. Den purpose-orientierten Ansatz nutzt das Unternehmen selbstverständlich auch für seine Markenkommunikation. Auch Konsumgüterkonzerne mit lange etablierten und wertvollen Marken machen sich auf den Weg und übernehmen Pionierleistungen. Unilever hatte 2018 international bereits fast 30 „sustainable living brands“ im Portfolio, die nach eigenen Angaben wesentlicher Treiber auch des finanziellen Erfolgs sind. Danone hat kürzlich das Vorhaben angekündigt, sich als „B Corporation“ zertifizieren zu wollen – ein anspruchsvolles Zertifizierungsverfahren für gemeinwohl- und purpose-orientiertes Wirtschaften.
Auch die deutsche Outdoor-Marke VAUDE hat ihre erfolgreiche Nachhaltigkeitsstrategie erst 2009 intensiviert – 35 Jahre nach Unternehmensgründung. Das Ziel der Strategie lautete, Europas nachhaltigster Outdoor-Ausrüster zu werden. Im Gespräch zur Recherche unseres aktuellen Buches „Corporate Purpose – das Erfolgskonzept der Zukunft“ berichtete uns Geschäftsführerin Dr. Antje von Dewitz von den verschiedenen Nutzendimensionen, die die Umsetzung der Strategie mit sich bringt. Die Marke hat sich selbst sehr hohe Standards zur ressourcenschonenden Herstellung seiner Textilien gesetzt, um die Externalitäten – die in der Textilindustrie sehr hoch sind – so weit wie möglich zu reduzieren. Neben dieser Förderung des Gemeinwohls stimmen auch die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. VAUDE wächst in den letzten Jahren über dem Marktdurchschnitt und gewinnt kontinuierlich Neukunden. Daneben ist VAUDE auch als Arbeitgeber attraktiv, weist eine geringe Personalfluktuation auf und hat – trotz eines dezentralen Firmenstandortes – keine Probleme Fachkräfte für sich zu gewinnen.
Ein anschauliches und überzeugendes Beispiel des Paradigmenwechsels, für den „Purpose“ aus unserer Sicht steht. Um das zu erreichen, muss man sogar nicht unbedingt ein Freund des Begriffs sein. Antje von Dewitz ist es nämlich auch nicht, wie sie uns im Interview verriet. Der Begriff „Purpose“ berge für sie das Risiko, als „Marketing-Hülle“ missverstanden zu werden. Das Risiko ist sicher da. Umso wichtiger ist es, dass Purpose im Sinne von Wertschöpfung und nicht von Werbung verstanden wird. Denn so ist er für Marken von vielfältigem Nutzen: Orientierung, Identifikation, Handlungsleitlinie und eine Quelle für Differenzierung und Wettbewerbsvorteile.