Ist der Markenkern der Kirchen in Gefahr?

[atlasvoice]

Das hängt ganz davon ab, was man darunter versteht.

Kurz vor Ostern bekräftigte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner ihre Kritik an der Kirche und sagte: „Der Markenkern ist klasse, den wir als Kirche und als Christentum haben. Es kommt aber anscheinend so nicht mehr an.“

In nur zwei Sätzen wirft sie damit mehr Fragen auf, als sie beantwortet.

Was genau meint sie mit dem Markenkern der Kirche? Wofür steht die Kirche heute – und wogegen positioniert sie sich? Wie möchte sie wahrgenommen werden? Und ist der Markenkern tatsächlich so klar, wie hier suggeriert wird?

Was bedeutet in diesem Zusammenhang überhaupt „Kirche“? Lässt sich das Christentum pauschal betrachten – oder sind die Unterschiede zwischen etwa der katholischen und der evangelischen Kirche nicht zu groß, um eine gemeinsame Aussage zu treffen?

Und was genau kommt anscheinend nicht mehr an? Haben die zahlreichen Kirchenaustritte der letzten Jahre tatsächlich mit einem unklaren Markenkern zu tun – oder liegen die Ursachen womöglich ganz woanders?

Fest steht: Die Kirchen sehen sich derzeit mit vielen Fragen konfrontiert – und haben nur wenige klare Antworten.

Wäre es an der Zeit, dass die Kirchen einen strukturierten Markenentwicklungsprozess anstoßen? Oder läuft dieser Prozess unlängst – etwa während des Kirchentags - und er wird hier nur nicht so genannt? Und liefert er erkennbare Ergebnisse?

Ich würde behaupten: Die Kirchen arbeiten seit jeher an ihrer Marke, im Rahmen ihrer strategischen Ausrichtung. Sie nennen es schlicht nicht Markenentwicklung, sie benennen auch keine Markenverantwortlichen und beauftragen (bisher) nur selten Markenberatungen. Und doch stellen sie sich ähnliche Fragen, beschäftigen sich mit ihrer strategischen Ausrichtung, mit ihrem öffentlichen Auftritt und mit ihren Aktivitäten – ganz ähnlich wie in einem klassischen Markenentwicklungsprozess, nur eben mit anderem Vokabular. Reicht das aus, um die Marke der Kirche durch ein weiteres Jahrhundert zu führen?

Die katholische Kirche verfügt über eine der ältesten Marken der Welt – auch wenn sie nie im Sinne eines modernen Markenmanagements geführt wurde. Doch auch sie steht aktuell – im Kontext der Wahl eines neuen Oberhaupts – vor denselben grundsätzlichen Fragen: Wofür will sie stehen? Wie möchte sie wahrgenommen werden? Und wie bringt sie das klar und konsistent über alle verfügbaren Kanäle und Aktivitäten zum Ausdruck?

Ob man es Markenführung nennt oder strategische Ausrichtung – Kirchen, NGOs, Start-ups und globale Konzerne stehen im Kern vor denselben Herausforderungen. Und auch wenn die Kirchen bereits verschiedene strategische Prozesse durchlaufen, könnte ein gezielter Markenentwicklungsprozess durchaus hilfreich sein. Manchmal hilft es, mit anderen Begriffen und aus einer anderen Perspektive auf vertraute Themen zu blicken, um neue Einsichten zu gewinnen.

Und selbst wenn derzeit viele Fragen offenbleiben, lässt sich in Sachen Markenführung von den Kirchen vielleicht mehr lernen, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Mehr dazu in einem meiner nächsten Beiträge.

5. Mai 2025
Ein Beitrag von:

Johannes Frederik Christensen hilft Unternehmen, ihr Markenpotenzial zu entfalten. Nach Stationen bei Interbrand in Zürich und New York gründete er 2023 die Markenberatung Dichter + Denker. Mit Erfahrung auf drei Kontinenten berät er Unternehmen zum Aufbau und Ausbau ihrer Marken. Dortmunder im Herzen, Kosmopolit im Wirken – mit Leidenschaft für Feldhockey, Vespas und guten Kaffee, lebt er heute in Hamburg.

www.dichterunddenker.com

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

arrow-rightarrow-up-circlearrow-left-circlearrow-right-circle