Papstwahl™

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Es gibt Marken, die für Vertrauen stehen. Andere für Innovation, Nachhaltigkeit oder Abenteuerlust. Und dann gibt es den Vatikan. Eine Organisation, deren symbolische Strahlkraft auf einem paradoxen Versprechen beruht: dass sich das Ewige nicht ändert. Dass Wahrheit nicht verhandelt wird. Und dass Legitimität nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten funktioniert. Das Markenversprechen in einem Satz: Ewigkeit statt Erlebnis – ein radikaler Gegenentwurf zur Erlebnisökonomie der Gegenwart, in der Marken durch emotional aufgeladene Konsumerlebnisse, interaktive Kampagnen und stetige Innovationszyklen ihre Relevanz sichern müssen. In dieser Logik ist die Papstwahl natürlich kein demokratischer Prozess – sondern ein Ritual. Aber die Attraktivität demokratischer Prozesse scheint gegenwärtig ohnehin eher abzunehmen – was die Faszination des Rituals nur noch verstärken dürfte. Ein Kommunikationsakt ohne Botschaft, der allein durch Form, Ritus und Dauer spricht – ein konsequentes Beispiel sakralen Heritage Brandings. Und genau dadurch: eine Meisterleistung spiritueller Markenführung.

Die Marke Papst

Der Papst ist kein Produkt, er ist eine Instanz. In mancher Hinsicht einem CEO vergleichbar, steht er an der Spitze einer globalen Organisation, vermittelt Richtung, Ordnung und Präsenz. Doch seine Autorität gründet nicht im Vertrauen von Aktionären, sondern im Glauben an eine überweltliche Legitimität. Er ist hochgradig personalisiert – und zugleich entpersönlicht: Gesicht eines Amtes, das sich selbst entzieht. Während Unternehmensführer Wandel verkörpern, steht der Papst für Dauer. Nicht Innovation, sondern Unverrückbarkeit ist sein Auftrag. Keine personalisierte Projektionsfläche im Wettbewerb um Aufmerksamkeit, sondern die Verkörperung eines Markenkerns, der sich selbst entpersönlicht. Er ist nicht Erfinder einer Marke, sondern ihre lebendige Fortsetzung. Wenn CEOs sich inszenieren, um Erneuerung zu signalisieren, erscheint der Papst, um Zeitlosigkeit zu verkörpern. Und doch folgt seine Inszenierung klaren Markenprinzipien. Er hat ein prägnantes visuelles Erscheinungsbild (weißes Gewand, Papstkreuz, Red Shoes), eine definierte Farbwelt (purpur, gold, weiß), einen einzigartigen Claim („Habemus Papam“) und einen globalen Launch-Moment: den ersten Auftritt auf dem Balkon des Petersdoms.

Dass all dies funktioniert, obwohl – oder gerade weil – es sich seit Jahrhunderten kaum verändert hat, ist kein Zeichen von Rückständigkeit, sondern ein Fall von Markendifferenz durch sakrale Wiederholung. Während sich Konsummarken im Vierteljahresrhythmus neu erfinden, gewinnt der Vatikan durch Stabilität und Entzug. Er ignoriert nicht die Logik des Marketings. Er spielt mit ihr – und entzieht sich ihr zugleich. Genau das macht ihn faszinierend.

Der Prozess als Performance

Die Papstwahl selbst ist ein Theaterakt – bewusst altmodisch, ritualisiert, exklusiv. 120 Kardinäle, abgeschlossen in der Sixtinischen Kapelle, beten, diskutieren, wählen. Kein Live-Ticker, keine Leaks. Nur Rauch. Schwarz oder weiß – ein ikonisches Brand Asset, das maximale Wiedererkennbarkeit bei minimalem Informationsgehalt erzeugt. Weltöffentlichkeit ohne Transparenz.

Diese Form des kontrollierten Informationsentzugs wirkt wie eine paradoxe Markenstrategie: Unsichtbarkeit als maximale Sichtbarkeit. Denn die Welt schaut zu, obwohl (oder weil) sie nichts sieht. Der Vatikan beherrscht die Kunst der symbolischen Ökonomie: Er inszeniert Relevanz durch Stille, Spannung durch Geheimnis, Bedeutung durch Form.

Die Wahl als Rebranding

Mit jeder Wahl entsteht nicht nur ein neuer Papst, sondern auch eine neue Markenerzählung. Der Name ist dabei das erste Rebranding-Statement: Benedikt signalisiert Dogma und Rückbindung, Franziskus steht für Demut, Armut, Globalität. Es handelt sich um einen gezielten Eingriff in den Markenkern – ein Fall strategischer Markenpositionierung im Dienst einer neuen Erzähllogik.

Und der erste öffentliche Auftritt? Ein Markenlaunch mit jahrhundertealtem Protokoll – orchestriert über ein jahrhundertealtes Protokoll kirchlicher Machtsymbolik. Kein CEO-Statement, keine Pressekonferenz. Nur der Segen Urbi et Orbi. Keine Agenda, kein Programm – nur Präsenz. Eine Kommunikation, die allein durch Geste und Kulisse wirkt. Hier spricht nicht der Mensch, sondern das Amt. Nicht das Neue, sondern das Ewige.

Markentechnische Schwäche?

Natürlich lässt sich auch das Gegenteil behaupten: Dass die Papstwahl gerade kein Beispiel starker Markenführung ist, sondern ein Zeichen für elitäre Selbstreferenz, fehlende Anschlussfähigkeit und kommunikative Erstarrung. In der Logik moderner Markenkommunikation ist die Wahl intransparent, nicht inklusiv, resistent gegen Feedback und fern jeder Zielgruppenorientierung. Kein Storytelling, kein Engagement, keine Interaktivität. Der Anfang vom Ende.

Doch diese vermeintlichen Schwächen sind zugleich ihre Einzigartigkeit. Denn was heute zählt, ist nicht nur Differenz im Produkt, sondern Differenz in der Inszenierung. Und in dieser Hinsicht ist die Papstwahl ein Meisterstück des Anti-Brandings als Brandingstrategie.

Die Papstwahl widerspricht den heiligen Glaubensgrundsätzen der globalen Markenwelt: Sie verweigert transparente Partizipation, verzögert die Kommunikation, ignoriert Zielgruppen und vertraut nicht auf Aufmerksamkeit, sondern auf Anbetung. Die eine Seite glaubt an Märkte, die andere an Mysterien. Professionelle Markenmacher*innen würden an dieser Stelle wohl zu einer behutsamen Modernisierung raten – einer Reform des Rituals unter Beibehaltung seiner Aura. Und warum nicht? Ideen gäbe es genug.

A Modest Proposal

Um die Papstwahl markentechnisch an die Gegenwart anzupassen, ließe sich ein Audio-Livestream aus der Sixtinischen Kapelle einführen – in Latein mit simultaner Influencer-Übersetzung. Rauchzeichen würden durch Push-Nachrichten ersetzt: „Schwarzer Rauch. Bleibt dran.“ So könnte göttliche Eingebung nahtlos in den globalen Aufmerksamkeitsstrom integriert werden – als sakrales Medienformat mit Echtzeitbindung.

8. Mai 2025
Ein Beitrag von:

Prof. Dr. Jürgen Häusler ist Honorarprofessor für strategische Unternehmenskommunikation an der Universität Leipzig. Bis zum Eintritt in den Ruhestand 2015 war er Chairman bei Interbrand Central and Eastern Europe, und hat Unternehmen und Organisationen weltweit bei der Entwicklung von Marken beraten. Als Sozialwissenschaftler hat er u.a. am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln gearbeitet.

Kontakt: juergenghaeusler@gmail.com

 

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