Fortschritt ist Formsache
Liebe Leserin, lieber Leser,
sehr verbreitet ist das Gejammer darüber, dass wir die „Mobilitätswende“ verbummeln würden. Und dabei schwingt immer auch die Moralkeule mit: Offenbar weigert sich ein großer Teil der Autofahrer und Autofahrerinnen einfach, das Richtige zu tun, und auf ein elektrisches Fahrzeug oder gleich auf das E-Bike umzusteigen. Die Menschen sind nun mal dumm und faul! Aber wer mit offenen Augen durch die Straßen geht, bemerkt: Diese Transformation scheitert nicht zuletzt deshalb, weil sie, um es einmal salopp zu formulieren, scheiße aussieht.
Anders gesagt: Es liegt am Fehlen der guten Form, und am mangelnden Bewusstsein für Ästhetik. Um das zu verstehen, muss man nicht zum Äußersten gehen, und zum Beispiel ein schönes Rad von Bianchi (aus Stahl) neben den visuellen (und akustischen!) Trümmerhaufen des „Urban-Arrow“-Lastenfahrrads stellen. Bereits der flüchtige Blick auf die Elektro-Katastrophen von Volkswagen und Mercedes offenbaren die Krise des Designs: Da erscheint der ID 4 wie ein „Schwein auf Stöckelschuhen“ und der EQS „bananenförmig geschmolzen“, um den Architekturhistoriker Niklas Maak zu zitieren. Zudem sind die meisten Elektroautos nicht nur viel zu groß; sie versuchen auch regelmäßig, den öffentlichen Raum auf eine ausgesprochen unangenehme Art zu dominieren – durch einen comichaften, ultra-aggressiven Look, mit riesigen Kühlerfratzen und sinnlosen Powerdomes.
Dabei sollten wir doch wissen, wie Transformation in der Automobilwirtschaft geht, denn wir haben sie schon mal erfolgreich durchgeführt: In den 70er Jahren, als, gerade auch in Deutschland, neue Kleinwagen entwickelt und gebaut wurden, deren Formen revolutionär neu waren. Eben nicht niedlich wie der MINI, nicht spielzeughaft wie der Fiat 500, sondern klar, ernsthaft und gut, in bester Bauhaus-Tradition: Wie der Audi 50, der Golf natürlich und der Ford Fiesta. Übrigens: Deren Gestalter waren Nuccio Bertone, Giorgetto Guigario und Tom Tjaarda, und keiner kam aus Deutschland. Viel wichtiger aber ist, dass sie alle auch die kühnsten und coolsten Sportwagen gebaut haben, für Ferrari, Alfa Romeo und De Tomaso, wie auch Marcello Gandini, der den Lamborghini Miura genauso wie den Renault 5 gestaltet hat.
Und vielleicht ist es genau dieser Wagemut, der heute dem Design der Elektromobilität so fehlt, und nun diese ästhetische Leere schafft, die uns nicht fortkommen lässt und den Wandel verhindert. Denn Wandel braucht die gute Form mehr als die gute Moral.
Oder was meinen Sie?