Frankfurt D.C.
Das Bahnhofsviertel hatte bei der Fußball EM 2024 ja schon sein Fett abbekommen:
"NO GO ZONE". England-Fans im 'Zombieland' Frankfurt müssen in der 'schlimmsten Stadt der Europameisterschaft' beim Spiel gegen Dänemark Spießrutenlauf mit Drogensüchtigen machen. ... Die Straßen sind voll mit 5.000 Junkies und 300 Händlern ... der gefährlichste Slum in Deutschland" (The Sun vom 20.6.2024
Da ging ein Aufreger durch die Frankfurter Politik, Presse und Öffentlichkeit, denn das Bahnhofsviertel hat insgesamt nur 3.984 Einwohner. Man fragte sich, wo da 5.000 Junkies sein sollten. 'The Sun' ist halt die Bild Zeitung des Vereinigten Königreichs mit ähnlich eigenartigem Wirklichkeitszugang.
In der Müllproduktion ist das Bahnhofsviertel allerdings ziemliche Spitze. Aber nur Spitze, denn danach kommt im Rest der Stadt noch ein ganzer Müllberg. Gepflegte Stadt sieht anders aus. Und Spektakuläres ersetzt nicht die Dauerpflege: Das nördliche Mainufer war bei der EM 2024 als Fanzone freigegeben worden, womit man den großen Rasenflächen ihren Untergang konzedierte. Ein Jahr später wurde dann alles mit teurem Rollrasen wieder repariert. Die dafür notwendigen € 850.000 hatte man schon gleich in die Veranstaltungskosten eingerechnet. Es sieht - da derzeit noch eingezäunt - auch super aus. Für die Entleerung der Abfallkörbe und die Reinigung der Gehwege scheint dann nur noch wenig Bares übriggeblieben zu sein. Solange sich das nicht ändert, wird auch der schöne Rollrasen bald wieder müllig werden.
Scheinbar hat die Stadt draußen viele hübsche Attraktivitäten wie Designer-Bänke, ein meterhohes Eurozeichen und neue Jumbo Papierkörbe am Mainufer, mit recht einfallslosen Sprüchen darauf.

"Halt sauber, was Du liebst." Hoffentlich gibt es da genug Bürgerliebe, kann man nur hoffen. Die Papierkorb-Agentur wollte wohl unbedingt noch ihre Wording-Kompetenz mitverkaufen. Dabei sind sie von der Form her mehr oder weniger (etwas mehr als weniger) ganz ok. Aber warum nicht einfach ein roter, blauer oder gelber Papierkorb? Ein blau-gelber wäre ja sogar mal eine politische Aussage der Solidarität mit der Ukraine gewesen. Oder die Regenbogenfahne. Oder einfach die Stadtfarben. Oder alles, aber nicht die stumpfen Sprüche. Und gegen die Schmierfinken gibt es farbabweisende Beschichtungen.
Es gibt eine Abfallsatzung der Stadt Frankfurt. Da heißt es in § 5: "Auf öffentlichen Plätzen, Straßen, Wegen und in Grünanlagen ist jeder verpflichtet, Kleinabfälle in die dort bereitgestellten Abfallbehälter einzubringen."
Die scheint aber kaum jemand zu kennen, wenn man am Sonntagmorgen in Parks und auf Plätzen die Ergebnisse von nächtlichen Pizzakartonweitwurfwettbewerben und den Glashärteprüfungen zahlreicher Bier- und Weinflaschen erfährt. Manche Frankfurter und Frankfurterinnen lieben ihre Stadt scheinbar nicht wirklich.
Seit 2017 gibt es eine "Sauberkeitsinitiative cleanffm" der Stadt und alle halbe Jahr wird zum 'Cleanup' mit Bürgerbeteiligung aufgerufen. März 2025: "Fast 800 Kilo Müll wurden allein im Hafenpark innerhalb kurzer Zeit gesammelt", hieß es in der Pressemitteilung. Ist das vielleicht mehr PR für die Politik, als dass es wirklich etwas nützen würde? Was ist denn in der Zeit zwischen zwei 'Säuberungen'?
Spektakuläre Aktionen veranlassen Politiker immer gerne, aber beim regulären Unterhalt gibt es regelmäßig Unterdeckung und da schaut man politisch gerne lieber weg. Reinigungsaufträge gehen heute vor allem an private Firmen, Ergebnis des politischen Privatisierungsheilversprechens der späten 90er Jahre. Die dürfen dann nur machen, wofür die Firma auch bezahlt wird. Stadtgärtner, die auch mal eben einen verunglückten Papierkorb wieder in Ordnung bringen, sind wohl ein aussterbender Beruf. Dafür ist dann heute bei den Privaten eine andere Firma zuständig, vorausgesetzt sie bekommt einen Auftrag. Das Holistische, also der Blick fürs Ganze ist verloren gegangen. Da helfen auch die kecken Sprüche an Müllwagen, Papierkörben und auf Websites nichts. So geht Markenarchitektur nicht. Im Neuen Frankfurt der 1920er Jahre wurden die schönen rot-weißen Bänke von Ferdinand Kramer jeden Herbst ins Depot geholt, aufgearbeitet und im Frühjahr wieder in die Parks gestellt. Das war bewusstes und kluges Corporate Design für die Stadt. Bänke der Gegenwart sehen dagegen eher traurig aus.
Vor allem sollte man beim Thema Marke das ganze heutige Public Design nicht aus den Augen verlieren, vor allem auch dessen Zustand. Zum Beispiel die Aufzüge am Eisernen Steg. Der wurde einst im 19. Jahrhundert vor der Elektrifizierung der Städte mit steilen Treppenaufgängen angelegt. Dann kam vor gut 30 Jahren ein Baudezernent zum Zug, der den Steg mit Aufzügen auch für die heutigen Kinderwagen, Rolli- und Fahrradfahrer updaten wollte. In der Spätpostmoderne musste selbstverständlich alles transparent, schön und aus Glas sein. Soweit der Plan, soweit so gut gemeint. In privaten Büro- und Hotelhochhäusern gibt es ja auch gut funktionierende gläserne Aufzüge. Warum also nicht auch bei der Stadt Frankfurt im öffentlichen Raum? Wenn man die Glastürme heute anschaut, dann waren das schon einmal die völlig falschen Materialien für den öffentlichen Raum. Sobald man in diese Glaskuben einsteigt oder mit Kinderwagen oder Rollstuhl einrollt, wird man zunächst einmal sehr sichtbar damit konfrontiert, dass die transparenten Technikbereiche in drei Jahrzehnten wohl noch nie gereinigt wurden. Millimeterdicker, zu Dreck verklebter Staub, defekte Leuchten, abgeplatzte Wandfliesen und jede Menge Müll, wie auch immer der da hineingekommen sein mag. Innen und außen primitive Tags oder einfach Schmierereien von Menschen, die mit Farbdosen nicht umgehen können. Echte Graffitis gibt es, aber nicht hier. Hier würden sie auch nicht hingehören. Man traut sich kaum den Aufwärts-Knopf ohne Gummihandschuhe zu drücken. Und: das Ding auf der Nordseite ist überwiegend, das auf der Südseite oft "außer Betrieb". Kommt der Rollifahrer aus Sachsenhausen auch bis auf die Nordseite, kann er am defekten Nordturm wieder kehrt machen und einen Kilometer Umweg über die Alte oder die Untermainbrücke in Kauf nehmen. Sehr spaßig.



Man fragt sich, ob die zuständigen Ämter, respektive die ihnen vorstehenden Politiker noch ganz bei Trost sind. Der Eiserne Steg ist ein Hot-Spot für alle Touristen, die hier die Aussicht auf unsere kleine Hochhausstadt bewundern und via Facebook, Instagram und Co ein Selfi in die Welt schicken. Ab 10:00 Uhr ist der Laden täglich rappelvoll. Wer aus dem super sauberen Singapur oder aus Japan oder Korea in dieses Drecksloch von Aufzug einsteigt, der kann Frankfurt nur für völlig degeneriert halten. Tolle Werbung. Wenn das Straßen- und Brückbauamt da schon nicht aktiv wird, dann fragt man sich, warum die Touristikabteilung nicht Dampf macht und zur Not in den eigenen Finanztopf greift. Der kann nicht so klein sein, denn immerhin knöpft die Stadt jedem Besucher 2 Euro 'Tourismusbeitrag' pro Übernachtung ab. "Frankfurt ganz nett, aber sehr schmutzig", kann ja wohl kaum das Empfehlungsschreiben sein.
Die Dinger müssen dringend grundsaniert und grundgeputzt werden und wenn man sie dafür komplett auseinandernehmen muss. Und dann bitte jede Woche die Reinigungsstruppe zu diesem Frankfurter 'Key-Visual' fürs Corporate Design der Stadt schicken. Falls böse Buben des Nachts zu sehr randalieren und die Technik stilllegen, dann muss halt gleich auch ein Techniker ran. Aber vielleicht ist sie nach 30 Jahren auch schlicht zu erneuern. Die Frankfurter Kinderwagen-, Rollstuhl- und Fahrradfahrer würden es mehr als danken.
Der Ruf nach Sauberkeit als städtische Markenpflege? Da ist man schnell als Ordnungsheini geoutet. Sauberkeit ist für das City Branding sicher nicht das wichtigste Thema, aber es ist ein Thema. Was nutzt das ganze Philosophieren über das 'Aushalten widersprüchlicher, offener Räume, in denen urbane Komplexität sozial und ökonomisch fruchtbar gemacht wird', wenn die reale, analog visuelle Stadterfahrung in weiten Bereichen ein Schmuddel-Design ist?
Frankfurt D.C. steht leider zu oft für 'Dirty City'. Das ebenso nachhaltig wie menschlich zu ändern wäre fraglos eine echte Herausforderung, denn drakonische Strafen für Schmutzfinken wie z.T. in asiatischen Städten sollten nicht die Lösung sein. Wenn 'Stadtverwaltung' zu 'Stadtgestaltung' werden soll, dann heißt das proaktiv zu handeln. Nicht nur Nachsorge (Müll abräumen), sondern Vorsorge (Müll vermeiden) muss das Paradigma sein. Da ist es mit einer Stabsstelle nicht getan, sondern das Thema muss zentraler Bereich einer größeren Betrachtung des öffentlichen Raums als zentrem Dispositiv für eine städtischen Markenbildung sein.
Die gebaute Stadt ist die dreidimensionale Verortung von Ideen. Letztlich ist Stadt eine vertikale und horizontale, also eine zeitliche und räumliche Aneinanderreihung solch materialisierter Vorstellungen. Ihr Zustand ist dabei nicht zuletzt ein wesentliches Kriterium für eine gelingende oder nicht gelingende Markenbildung.
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