New York™. Eine Stadt als Markenkosmos?
Der Ausgang der Primärwahlen der Demokraten in New York City war ein Paukenschlag: „The Mamdani earthquake“ (The New York Times). Der unterstellte Favorit – ausgestattet mit einem bekannten Namen, umfangreicher Verwaltungserfahrung, erheblichen finanziellen Ressourcen und offener Unterstützung durch etablierte Machteliten – verlor überraschend deutlich. Die Wahl galt vielen Beobachter*innen nicht nur als Abstimmung über Personen, sondern als Entscheidung über politische Stile, über Generationen, über Sichtbarkeit und Gültigkeit. Nochmals The New York Times, stets geübt in semantischer Verdichtung, kommentierte das Ergebnis mit einem einzigen, vielsagenden Satz: „The Cuomo brand seems to have lost its shine.“
Was in diesem Zusammenhang wie eine beiläufige Formulierung klingt – Markenverfall als Ausdruck politischer Schwäche – verweist auf ein tiefer liegendes Szenario: Was, wenn Markenlogik zur Voraussetzung öffentlicher Anschlussfähigkeit würde? Wenn nicht mehr Programme, Positionen oder soziale Verankerung den Ausschlag gäben, sondern Wiedererkennbarkeit, Affektsteuerung, semantische Konsistenz? Wenn politische Legitimität nicht mehr argumentativ errungen, sondern als symbolischer Markenwert gemessen würde?
Für diese Frage ist New York City die perfekte Fallstudie. Keine andere Stadt hat die Bedingungen einer symbolisch codierten Öffentlichkeit so konsequent herausgebildet: eine medienüberwachte, hochverdichtete, globalisierte Arena, in der politische Relevanz zunehmend über Sichtbarkeit, Stil und Markierbarkeit verhandelt wird. In dieser Stadt kann ein Wahlergebnis als Bedeutungsumschlag gelesen werden, und der Verlust politischer Autorität als verblassende Marke. Hier lässt sich beobachten, wie das Politische mit der Ästhetik, das Soziale mit dem Symbolischen, die Demokratie mit der Dynamik des Marktes in Berührung kommt – nicht als abgeschlossene Entwicklung, sondern als urbanes Versuchsfeld für neue symbolische Ordnungen. Es geht um Politik, Öffentlichkeit und die symbolische Logik der Marke – am Beispiel eines städtischen Szenarios.
Der Ursprung dieses urbanen Bedeutungsregimes liegt in einer doppelten Krise: der materiellen und der symbolischen. New York war Ende der 1970er Jahre haushaltspolitisch bankrott, sozial fragmentiert und medial stigmatisiert. Die Reaktion der Stadtregierung war nicht allein fiskalischer, sondern vor allem semantischer Natur. Mit der I ❤ NY-Kampagne von 1977 wurde ein neuer Bedeutungsrahmen geschaffen. Die Stadt präsentierte sich fortan nicht als Problemfall, sondern als emotionales Versprechen. Die Liebe zur Stadt wurde zur Marke selbst. Und mit ihr begann ein Paradigmenwechsel: von der materiellen zur symbolischen Stadtproduktion, von der Planung zur Kommunikation, vom urbanen Management zur Markenpflege.
Doch wie Miriam Greenberg in ihrem Buch Branding New York: How a City in Crisis Was Sold to the World (2008) eindrucksvoll gezeigt hat, war diese Transformation keineswegs ein zentral gesteuerter oder widerspruchsloser Prozess. Vielmehr standen in den 1970er und 1980er Jahren sehr unterschiedliche Zukunftsvisionen für New York City im Wettbewerb – getragen von verschiedensten Interessengruppen: Stadtverwaltung, Tourismusindustrie, Immobilienwirtschaft, Kulturinitiativen, Gewerkschaften, Community-Aktivist*innen. Die offizielle Imagekampagne I ❤ NY war nur die sichtbarste Oberfläche eines tiefer liegenden symbolpolitischen Aushandlungsprozesses. Branding bedeutete nicht nur Marketing, sondern politische Konfliktbewältigung mit ästhetischen Mitteln. Dass sich am Ende eine bestimmte, konsumierbare, resilienzbasierte Version von New York durchsetzte, war keineswegs selbstverständlich – sondern Ergebnis symbolischer Dominanz.
Seitdem hat sich die Marke New York deutlich in verschiedenste Richtungen entfaltet. Die Stadt ist heute ein perfektes Beispiel für das, was als Ausweitung der Markenzone (Hellmann & Pichler, 2005) beschrieben wurde – in nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche: Wirtschaft, Kultur, Politik, Tourismus, Alltagsleben. Sie ist nicht mehr statisch oder eindeutig, sondern widersprüchlich, flexibel, anschlussfähig. Sie verkörpert Globalität und Lokalität, Elitenkultur und Subkultur, Finanzkapitalismus und kreativen Widerstand. Stadtteile wie SoHo oder DUMBO, Namen wie MoMA oder Wall Street, Figuren wie Warhol oder AOC – sie alle speisen sich aus dem Markenkern der Stadt und tragen gleichzeitig zu seiner permanenten Umcodierung bei. New York ist damit nicht nur ein Ort, sondern ein Resonanzraum, ein urbanes Interface, auf das sich globale Vorstellungen von Urbanität, Freiheit, Tempo, Widerspruch und Möglichkeit projizieren lassen.
In einem solchen Kontext agieren auch politische Akteure nicht mehr unabhängig von der Marke, sondern als Teil ihrer Architektur. Rudy Giuliani machte Ordnung zur Marke. Michael Bloomberg verwaltete New York wie ein börsennotiertes Unternehmen. Und Alexandria Ocasio-Cortez repräsentiert heute eine neue politische Signatur, die radikal ist, aber zugleich markenbewusst – mit starker Bildsprache, klarer Haltung und globaler Anschlussfähigkeit.
Die Marke Cuomo hingegen wirkt wie das Nachglühen eines erschöpften Symbols. Und doch war sie einst stark. Sie entstand aus einer politischen Dynastie: Mario Cuomo, Gouverneur von 1983 bis 1994, galt als intellektuell geprägter Demokrat mit rhetorischem Format und moralischer Gravitas. Sein Sohn Andrew Cuomo führte dieses Erbe fort – mit einer Mischung aus Pragmatismus, Durchsetzungsstärke und medienstrategischem Instinkt. Während der Covid-Pandemie war er omnipräsent: als Krisenmanager, als Stimme der Autorität, als vermeintlich rationales Gegengewicht zum politischen Chaos auf Bundesebene. Die Marke stand für Stabilität, Führungsstärke, klassische Staatlichkeit – für ein bestimmtes Verständnis von Vertrauen im politischen Raum.
Doch wie viele politische Marken beruhte auch diese auf einer sorgfältig gepflegten Erzählung. Als Vorwürfe wegen sexueller Belästigung und autoritärem Führungsstil aufkamen, geriet das Image ins Wanken. Der Rücktritt war nicht nur ein institutionelles, sondern ein semantisches Ereignis. Die Geschichte, auf der die Marke ruhte, verlor ihre Glaubwürdigkeit. Was einmal staatsmännisch wirkte, erschien plötzlich selbstgefällig. Der jüngste Wahlausgang bestätigt diesen Bedeutungsverlust: Die Marke Cuomo hat nicht nur Wählerstimmen eingebüßt, sondern ihre kulturelle Anschlussfähigkeit verloren.
Dem steht der Gewinner der jüngsten Vorwahl gegenüber: Zohran Mamdani, ein demokratischer Sozialist, Kind ugandisch-indischer Einwanderer, Rapper, Mietrechtsaktivist und Abgeordneter aus Queens. Auf den ersten Blick scheint Mamdani all das zu unterlaufen, was mit klassischer Markenpolitik in Verbindung steht. Er bezeichnet sich offen als Gegner neoliberaler Stadtentwicklung, als Kritiker von Politik als Imagegeschäft. Er spricht von Enteignung, kollektiven Lösungen, demokratischer Teilhabe – nicht von Optimierung, Effizienz oder Inszenierung. Inhaltlich stellt er die Grundlogik des politischen Branding infrage.
Und doch: Mamdani wirkt nicht außerhalb dieser Logik, sondern in ihr – und gegen sie zugleich. Er verweigert sich dem klassischen Branding, ohne die Bedingungen urbaner Sichtbarkeit zu ignorieren. Seine Präsenz in sozialen Medien ist konsistent, seine Botschaften klar und ideologisch kohärent. Er liefert keine Hochglanzästhetik, aber eindeutige Haltung. Er spricht nicht als Marke – aber er spricht medientauglich. Zohran Mamdani ist kein Produkt politischer Markenbildung, aber ein Akteur, der deren Mechanismen produktiv wendet.
Die Gegenüberstellung könnte deutlicher kaum sein: hier eine Marke, deren Glanz verblasst ist, weil sie zu lange als selbstverständlich galt – dort eine neue Signatur, deren Stärke gerade in der Frische, der Adaptivität und dem offenen Bedeutungsangebot liegt. Die eine verweist auf eine Stadt, die sich immer wieder als unerschütterlich behauptet hat – die andere auf eine Stadt, die sich neu entwerfen will. Was sich hier andeutet, ist mehr als ein Wechsel der Namen: Es ist eine Verschiebung der politischen Horizonte. Der konstruierte, hoffnungsvolle Erwartungshorizont hat (für den Moment) den bestens bekannten Erfahrungsraum verdrängt. Eine offene Zukunft scheint – zumindest in diesem Augenblick – politisch anschlussfähiger als die erlebte Vergangenheit.
Hat in dieser Wahl tatsächlich Markenlogik das politische Abstimmungsverhalten geprägt? Haben hier Konsument*innen oder Wähler*innen entschieden? Gab am Ende die inhaltliche Überzeugungskraft den Ausschlag – oder doch die strategisch klügere Markenkommunikation? Eine eindeutige Gegenüberstellung greift zu kurz. Wahrscheinlicher ist: Diese Wahl bildet einen hybriden Moment ab, einen fließenden Übergang zwischen klassischer politischer Auseinandersetzung und symbolischem Markenwettbewerb. In einer Stadt, die einmal mehr ihre Ausnahmestellung behauptet.
New York steht damit exemplarisch für eine mögliche Zukunft urbaner Politik – nicht im Sinne eines exportierbaren Modells, sondern als konzentrierter Möglichkeitsraum, in dem sich neue Formen symbolischer Machtbildung beobachten lassen. Sichtbarkeit wird zur Währung, mediale Anschlussfähigkeit zur Voraussetzung von Relevanz, symbolische Konsistenz zur Bedingung für politische Wirkung. In New York verdichten sich diese Entwicklungen mit besonderer Schärfe – nicht weil die Stadt prototypisch wäre, sondern weil sie extrem ist: medial überbelichtet, global anschlussfähig, ökonomisch umkämpft, kulturell übercodiert. Die Stadt bleibt die Ausnahme – mit exemplarischer Strahlkraft. Und die Stadt sendet ein starkes schwaches Signal aus: stark, weil hier sichtbar wird, was andernorts nur untergründig wirkt. Es zeigt, wie tief Markenlogik in das urbane Politische einsickern kann – und wie fragil die demokratische Öffentlichkeit wird, wenn Resonanz zur Voraussetzung von Teilhabe gemacht wird.
Unser modest proposal: Was wie Satire klingt, ist ein Szenario, das sich andeutet. Wenn politische Glaubwürdigkeit in New York zunehmend eine Frage der Markenwirkung wäre, dann schlagen wir vor: Wahlen abschaffen, Rankings einführen. Regieren darf, wer die stärksten Markenwerte vorweist. Wer über 70 % Markenbekanntheit, ein positives Stimmungsbild in den sozialen Medien, eine aktivierte Community und ein konsistentes visuelles Erscheinungsbild vorweisen kann, wird Regierungschef*in. Der Rest fällt durchs Raster – wie jede schwache Marke eben. Effizient, marktkonform, zeitgemäß.
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