Das Etikett als Botschafter der Marke*
Kommentar des Editor-in-Chief | Johannes Frederik Christensen
The Business of Brand Management beleuchtet Markenführung im Kontext von Gegenwart und Geschichte. Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe von Wiederveröffentlichungen ausgewählter Texte von Olaf Leu und Bodo Rieger aus den Jahren 1987 bis 2018. Was damals gedacht, geschrieben und vertreten wurde, lohnt die erneute Lektüre – nicht aus Nostalgie, sondern weil sich darin Fragen spiegeln, die auch heute nicht gelöst sind.
Die Kunst, sich durch herausragende Leistungen einen Namen zu machen, wurde schon im alten Griechenland erfolgreich geübt: von Bildhauern, Schwerter- und Schildeschmieden, Schriftstellern, Philosophen und Politikern. Als nächstes Land, und das mag die Leute dort selbst am meisten überraschen, muss Österreich genannt werden; denn nirgendwo sonst ist es so gelungen, aus Landschaft eine Marke zu machen, aus Landwirtschaft Marken zu machen, aus Gastronomie eine Marke zu machen, aus der Musik, und insbesondere dem Dreivierteltakt, eine Marke zu machen, aus politischem Raffinement und dem Gastgeber-Charme Marken zu machen.
"Das Etikett als Botschafter der Marke" bietet sich an. Ein Botschafter hat zu präsentieren und zu repräsentieren und dabei für die Identität seinerNation den besten Eindruck zu machen, um Souveränität zu demonstrieren. Dabei hilft ihm die Kenntnis der Gesamtheit aller möglichen und unmöglichen Regeln, die ihm die gesellschaftlichen Umgangsformen seines Landes und des Gastgeberlandes vorschreiben. Er ist so etwas wie ein "maitre d'etiquette". Nichts anderes, wenn auch weniger spektakulär, dafür dauerhafter und ökonomisch zweckmäßiger, ist die stille Arbeit, die jedes Etikett für seine Marke und deren Absender hingebungsvoll als Träger einer Botschaft und eines Namens zu leisten hat. Auch das Etikett präsentiert und repräsentiert eine unverwechselbare, abgrenzbare Leistung durch die Art und Weise, wie es die Markenidentität vermittelt und damit den Qualitätsanspruch manifestiert. Die Marke, in sich gleich, also uniform, und gleichzeitig gegenüber den unvermeidlichen Wettbewerbern differenzierend, hat nichts anderes im Sinne, als die Wahrung ihrer Identität.
Das Wort "Etikett" kommt vom Französischen etiquette, und das wiederum ist abgeleitet von dem Begriff estiquier, und das bedeutet so viel wie ein Schildchen anstecken oder feststecken, also eine Information über einen Gegenstand an demselben festzumachen, so wie wir Türschilder an unserem Haus anbringen oder Namensschilder an unseren Jackenrevers bei gewichtigen Anlässen. Nur dass unser Etikett weit mehr hinter den Ohren hat als lediglich den schlichten Auftrag, ein Hinweisschild zu sein. Es dient, um es einmal in der steifen Sprache der Marketing-Leute auszudrücken, der Information über ein Leistungsangebot zur Klassifikation desselben innerhalb seiner Waren- und Preisklasse zur Identifikation für den suchenden Verbraucher, der vor dem Problem steht, aus rund 30.000 verschiedenen Produkten in einem großen Verbrauchermarkt seine Marken zu finden und deshalb ohne diese Verkehrszeichen des Konsums hilflos in einem Dschungel herumirren würde. Diese Ansteck-schildchen helfen uns also, Transparenz darzustellen, damit das große Tauschen Geld gegen Marke so geschmiert läuft, dass die Kassen jubeln und die Marketing-Chefs und Aktionäre ebenso.
Das Markenartikel-Etikett hat eines mit dem gesellschaftlichen Etikettieren gemeinsam: eine Vorstellung auf den Punkt zu bringen. So wie die Öffentlichkeit einem Politiker das Etikett konservativ oder progressiv anhängt, so hängt die schöpferische Phantasie der Menschen den Produkten ein Image an, um daraufhin subjektive Entscheidungen zu treffen.
Und beim unterscheiden zwischen Etiketten, seien es nun Wein- oder Käsemarken, ist jede Entscheidung ein Urteil über Aufstieg oder Abstieg dieser Marke und damit längerfristig über das dahinterstehende Unternehmen. Das Etikett ist also nicht nur Träger einer Leistung, sondern auch Funktionär im Dienste des Verbrauchers, der größten und demokratischsten Macht, die es auf dieser Erde gibt.
Wenn wir uns die Funktion des Etiketts einmal genauer ansehen, dann können wir die eigentliche Leistung in drei Dimensionen definieren:
Es gibt die materielle Qualitäts-Dimension, bezogen auf die Ware selbst und ihre Eigenschaften; zum zweiten die geistige Dimension, die das vermittelt, was an Denken und Fühlen im Zusammenhang mit dem Produkt assoziiert werden soll, also etwa der Gedanke, dass man mit diesem Produkt Ehre einlegt oder nicht und das Gefühl, eine gute Wahlgetroffen zu haben, um sich als Kenner seinen Freunden gegenüber darzustellen. Und schließlich die dritte Dimension, die wir eine ideelle nennen, d.h., dass das Etikett die Idee der Marke selbst vermittelt und damit ihre Existenzberechtigung, wie sie in ihrer gestalteten Marken-Identität zum Ausdruck kommt.
Diese drei Dimensionen korrespondieren mit dem Dreiweltenmodell von Platon, das seine neuerliche Aktualität der Überarbeitung durch den Philosophen Popper verdankt. Wie wir sehen, ein sehr nützliches Modell, um sich im alltäglichen Labyrinth der Angebote zurechtzufinden durch Einordnen. So erfahren wir bei einem Wein z.B. nicht nur etwas über seine Qualitätsstufe, seinen Absender und seine Herkunft, sondern bekommen auch durch die künstlerischen Gesten in Farbe und Bild ein Gefühl von Jugend vermittelt, so dass wir schließlich keinen Wein trinken, sondern die Idee ewiger Jugend inhalieren und uns entsprechend fühlen. Oder bei einem Käse neben der Herkunftsdefinition auch die Idee mitkriegen, dass er eben noch ursprünglicher und echter und herzhafter und begehrenswerter ist als alle anderen und vor allem die industriell gefertigten Käsearten und schon deswegen unsere Sympathie verdient und der das auch noch mit entsprechenden bildnerischen Mitteln so echt rüberbringt, dass wir uns genieren, das Etikett, das in dem vorliegenden Fall auch gleichzeitig das Einwickelpapier darstellt, rationaler und genialer Einfall zugleich, einfach wegzuwerfen.
Um noch ein Beispiel aus einem Nachbarland zu zitieren: die Schokolade, die neben der Tatsache, Schokolade zu sein, und aus einem anständigen Hause zu kommen und MILKA zu heißen, und alles von links bis rechts an Schokoladenarten und -typen darzustellen, aber eben die besondere zu sein aufgrund der einfachen Tatsache, dass sie lila ist, nicht die Schokolade, sondern die Marke in Gestalt ihres Markensymbols, der lila Kuh, die jedes Kind kennt und inzwischen für die einzig mögliche Farbe einer normalen Kuh hält. Also die formgebende Idee, die das Ganze einzigartig und begehrenswert macht und damit den entscheidenden Unterschied zu allem anderen darstellt, was braun und Schokolade ist.
Fassen wir zusammen: Das Etikett hat keine Lebensberechtigung aus sich selbst heraus, sondern nur durch das Produkt, dem es zwecks Identifizierung und Profilierung dient. Alle diese Etiketten machen in ihrer Gesamtheit die topografische Vielfalt unserer Marken- und Marketing-Landschaften aus, die Lustwiesen des Begehrenswerten, deren Eigentümer bemüht sind, uns so zu motivieren, daß wir Marken wie Lusttasten bedienen, indem wir nicht anders können, als immer wieder die alte Sünde durch die neue zu ersetzen und zu Wiederholungstätern werden, was die Fachleute dann "Markentreue" nennen. Das ist der Sinn dieses Geschäfts. Es ist die einzigartige Vermählung von Kunst und Technik, Wissenschaft und Kommerz. Eine Viereinigkeit, die so etwas wie ein perpetuum mobile unserer Wirtschaft ist.
Natürlich dürfen wir dabei die vier elementaren Grundbedürfnissse der Menschen nicht vergesssen: 1. das Bedürfnis nach Sicherheit. Die Marke, und als ihr Helfer das Etikett, garantieren das aus sich heraus; denn die Marke ist ein Qualitätsversprechen, liefert also Sicherheit. Das 2. Grundbedürfnis nach Identität entspricht der Urfunktion der Marke. Darüber haben wir schon einiges erfahren. Das 3. Grundbedürfnis liegt in der Kommunikation, im Dialog zwischen mir als Konsument und dem Markenangebot als Tauschprozeß-Partner. Und schließlich das 4. Grundbedürfnis, die Stimulation, ohne die absolut nichts geht, auch im Konsum nicht. Ein Etikett - mag es noch so schlau und schön und brillant aussehen-, wenn es nicht stimuliert, d.h. wenn nicht der Funke rüberspringt, dann ist alles umsonst.
Es sind vier Faktoren, die eine Marke und ihr Etikett erfolgreich machen:
1. Sie muß Substanz haben, d.h. Inhalt und Konzept müssen in sich stimmig sein, verständlich und nachvollziehbar einen besonderen Nutzen versprechen.
2. Sie muß akzeptiert werden können, d.h. die entsprechende Zielgruppevon Menschen muß sich angesprochen, verstanden und motiviert fühlen, so daß sie der Marke vertraut.
3. Die Gestaltung muß Prägnanz bringen, d.h. Ausdrucksstärke, die das Etikett einzigartig neben all den anderen macht und deshalb begehrenswert und attraktiv.
4. Die Marke muß durch Werbung präsent sein, damit sie in den Köpfen der Menschen gegenwärtig ist.
Alle diese vier Faktoren zusammengenommen machen den Erfolg einer Marke im Markt aus.
Im Gewinnspiel des Marktes kommt der Gestaltung der Markenetiketten eine besondere Rolle zu. Es ist eine zugleich praktische und künstlerische Funktion, um die es geht; eine Kunst, die nützlich ist und sich nützlich macht, weil sie eine Ware geistig lebendig macht, indem sie der Eigenart des Inhalts eines Produktes entspricht (materielle Dimension), dem Eigenwillen des Konsumenten dient (geistige Dimension), das Eigenleben der Marke kommuniziert, die Ideenwelt (ideelle Dimension).
Diese Dienstleistungen des Markenetiketts machen die "lebende Gestalt" eines Markenproduktes aus, wie schon gesagt: das Etikett als Botschafter der Marke.
*Die Veröffentlichungsrechte für diesen Beitrag sind im Besitz von Prof. em. Olaf Leu.
