Von prächtigen Uniformen zum verwechs­lungs­fähigen Flecktarn.

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Dem Wunsch des Herausgebers dieses Mediums dafür einen Beitrag über mein individuelles Verständnis über Marke und Marken zu verfassen, bin ich gern nachgekommen. Allerdings auch mit der „Warnung“ vor dem höchst subjektiven Inhalt eines demnächst Neunzigjährigen. Auch nach dem Motto: die Jungen tanzen nonchalant über das glänzende Parkett, aber wir alten Tänzer kennen die oft übersehenen und staubigen Ecken - und können demnach hier unseren kleinen versteckten Kehrbesen betätigen.

Marke? Marken? Identifikation durch Farben und Symbole eines Staates, einer Gemeinschaft, eines Landesteils, einer Unternehmung, eines Produkts, einer Dienstleistung.

Es fängt spätestens mit den Dienstleistungen der Ritter und deren Heeren an. Da nachfolgendes Beispiel so bilderreich ist, will ich zu gern diese gelebte und ausserordentlich leidenschaftliche Darstellung von Identifikation bemühen:

Da ist ein Heer der Ritterschaft des "Roten Ochsen". Rote Federbüschel zieren den Helm, das Schild zeigt einen vorwärts stürmenden Ochsen auf rotem Untergrund. Die Gegner tragen einen schwarzen Büschel auf dem Helm, das Schild zeigt einen feuerspeienden Drachen auf schwarzem Untergrund. Jetzt sind die Kontrahenten im Getümmel der Schlacht klar identifizierbar, der Kamerad und der Gegner.

Identifikation durch Farben und Symbole schaffen klare Verhältnisse.

Die Waffentechnik im 19. Jahrhundert lässt die bisherige bunte Vielfalt erschüttern. Die Franzosen in den roten Hosen und die blauen Preussen im Gefecht 1871/72 konnten mit ihren Gewehren auf Schußweite räumliche Distanz zu dem avisierten Gegner aufnehmen. Damit war bis in die heutigen Tage in den Armeen eine Trennung eingetreten, die letztlich zum Flecktarn führte. Ob Wüstentouch oder grüne Land-Graslandschaft, man befand sich in derselben einheitlichen Uniform wie der Kontrahent. Nur kleine aufgenähte Staatsflaggen am Oberarm verrieten die nationale Zugehörigkeit.

Identifikation wurde durch zu spätes Erkennen zum Risikofaktor.

Damit komme ich zur Identifikation von Unternehmen, Produkten und Dienstleistungen. Die Industrie und die Wirtschaft zu Anfang des 19. Jahrhunderts war bestrebt und das insbesondere auf Aus-stellungen eindeutige Identitäten zu schaffen. Man sprach hier von „Warenzeichen“. Es waren in vielen Fällen meist ineinander verschlungene Großbuchstaben, die Anfangsinitialen der Hersteller. Unter Warenzeichen waren sie gesetzlich geschützt und sie taten auf Produkten in Guß oder aufgetragener Farbe ihre identitären Dienste. Es waren mehr Signets, so wie früher auch Wäsche markiert wurde, durch ihre simple einfache Darstellung „markierten“ sie ein Objekt und waren damit Bestandteil. Jedwede künstlerische erhöhte Form war - wenn - wie die Peter Behrens-Brücke für die Farbwerke Hoechst oder das Logo der AEG ein bewusster Anfang, ein Kokon für mehr als nur Signatur, Geburt zu einer Marke. Die damaligen „Fabricanten“, stolz auf ihre Erzeugnisse, waren noch nicht im ziel-bewussten Denken einer Marketingstrategie. Und wenn etwaige Erkenntnisse in dieser Richtung reiften, dann wurde auch das bisherige „Warenzeichen“, die Signatur, als Eignung zu einer übergreifenden Marke in der Form neu bearbeitet. Ästhetik spielte eine Rolle und viele der damaligen Gebrauchs-graphiker wurden damit beschäftigt. Die USA gerade in den Zwanziger und Dreissiger Jahren spielten oft eine Rolle des Vorbildes.

Die unternehmerische Kunst, sich einen Namen zu machen - sich unter und mit einer Marke darzustellen - fand damals in den Dekaden nach 1900 zunehmend ihre dreifache Entsprechung im Produkt- und Kommunikationsdesign, in der zugrunde liegenden Produkt-Philosophie und in der Einbeziehung der Mitarbeiter- und Verwenderbedürfnisse in die ganzheitlich orientierte Unternehmenspolitik. Ein Beispiel ist dafür das ganzheitliche Konzept von Peter Behrens für die AEG gewesen.

Eine Generation später, in den Dreissiger Jahren, war es Hans Domizlaff, dieses Denken zu formulieren und zu praktizieren als Begründer der Markentechnik und Schöpfer solcher Marken wie die Cigarette R 6, Ernte 23, Appolinaris und der Siemens-Marken.

Wir unterscheiden bislang diese Markentechnik, angewandt auf ein Unternehmen als Corporate Identity mit ihrem Instrument Corporate Communications im Gegensatz zur Brand Identity, diese als Voraussetzung für ein zu schaffendes Markenproduktimage durch Markenwerbund in den Köpfen der Verbraucher. Die Brand Identity ist die strategische Verlängerung der Corporate Identity mit den Mitteln des Marketings, auch um Präferenzen bei Zielgruppen aufzubauen. Domizlaffs marken-technische Arbeit für Siemens war Corporate Identity, die Markengestaltung für Cigaretten war Brand Identity.

Was ist in unseren heutigen Tagen von all diesen gewachsenen Ergebnissen geblieben?

Da sind wohl die vielen neuen Begriffe - alle in Englisch - die sich durch neue Software Anwendung schaffen. Das wird ihnen auch gelingen, denn die digitale Welt ist anscheinend die des Wunders. Wer heute vor einem Ticketschalter steht und sich fragend ob der Vieldeutigkeit der Bedienung nach Hilfe umsieht, ist garantiert über 60. Einen gedruckten Geschäftsbericht konnte man vor Jahren noch „in der Hand“ halten und ihn lesen wenn die Zeit dafür da war. Heute geht das fast nur noch über die beleuchtete Scheibe. Und es bedingt, die absolute Häufigkeit vor diesem Wunderapparat zu sitzen. Also ist Print im Rückzug. All die Akzidenzen, das waren Kleindrucksachen wie Einladungen, sind nur noch per Internet übermittelt. Völlig daneben ist das heutige Schaffen, das Herumpopeln an den 26 Buchstaben. Diese Buchstaben zu Informationen vereinigt und so eine „abstrakte Sprachform“ braucht keine einzige neue Schrift. Ästhetische Marken, denen man ein hochwertiges Formgefühl ansieht, sind selten und nur mit der Lupe zu finden. Es gibt viele schlechte Formen, wie das Logo von MERCK oder das Zeichen am smart-Auto. Vieles ist mainstream, wenn ein Absender, dann eine „Marke“, meist eine Verbalhornung verschiedener Begriffe, eine oder zwei Zeilen, selten klare Formen, aber mit viel Parfum bestäubt. Dann einen „abstrakten Hugo“. der nichts aussagt, nichts enthält, ein Nichts. Eine Marke ist so nicht gegeben.

Das Digitale, und was damit Vernünftiges und Unvernünftiges gemacht wird, ist noch samt ihren Anwendern „in der Lehrzeit“. Es genügt eben nicht, neuen Wein in alten Schläuchen zu verkaufen - dafür war die vergangene Epoche der überragenden Grössen in Marke und Kommunikation mit vielen erkennbaren Ikonen vertreten. Es war auch eine Zeit, ich nenne sie mit Bedacht eine Epoche, die viele heraus- und hervorragende Personen zu einer Zeit an einem abstrakten Platz zusammen gebracht hatte.

Ich ende mit Schiller: „Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp, zu tauchen in diesen digitalen Schlund hinab ..."

2. Mai 2025
Ein Beitrag von:

Olaf Leu (1936 *) begann seine Laufbahn als typografischer Gestalter in der Bauerschen Giesserei, war Assistent des Creative Directors bei der Werbeagentur Hanns W. Brose und machte sich 1971 mit seinem eigenen Studio in Frankfurt am Main selbstständig. Als Kalender-Papst und unkonventioneller Verpackungsdesigner machte er sich ebenso einen Namen, wie als langjähriger Leiter des Prüfsegments Optik im Jahreswettbewerb „Die besten Geschäftsberichte“ des manager magazins. Er ist „gleichermassen scharfsinniger, wie schlagfertiger Design-Denker und -Journalist" – wie es in der 2018 gehaltenen Laudatio zur Aufnahme als Ehrenmitglied der Typografischen Gesellschaft München hieß – brachte den TDC, den ADC of New York und Japanisches Design nach Deutschland und ist Kritiker von Designwettbewerben, die er in so mancher Ausprägung „Bluff“ nennt. Die Messlatte des gestalterischen wie ethischen Anspruchs an sich selbst und an seine Designkollegen liegt im Hochpräzisionsbereich, wie auch in seinen autobiografischen Werken „Bilanz 1951 bis 1970“ - „Bilanz 1971 bis 2011“ - „i.R.“ und „R/80“ sowie im „Das Letzte Interview“ nachzulesen ist.

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