Die Magentamorphose

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Wer bitte machte Magenta zur Markenfarbe? Und wie? Und wieso? Ein Zeitzeuge und beobachtender Teilnehmer (von 1991 bis 2015) denkt zurück (ausführlich dazu: Jürgen Häusler: Was Marken leisten könnten. Wiesbaden 2021, S. 243-249): Magenta galt als Tabubruch in einer sonst nüchternen Branche. Keineswegs assoziiert mit technischer Präzision oder Seriosität. Eher eine Farbe irgendwo zwischen schrill, schlüpfrig und schamlos. Unternehmen setzten damals auf Blau, Grau oder gedeckte Töne, wenn sie Seriosität und Leistungsfähigkeit signalisieren wollten. Magenta wirkte im Vergleich dazu provokant und unberechenbar – eine bewusste Irritation im Farbraum der deutschen Wirtschaft. Genau diese Irritation wurde zum Farbschock mit Folgen – und damit zur strategischen Chance. Magenta gilt heute als vielleicht kraftvollste (und wertvollste) Farbmarke Europas und darüber hinaus – und das völlig zu Recht. Wie kam es dazu, dass eine einzelne Farbe zum unverwechselbaren Erkennungszeichen eines Unternehmens wurde? Und wer waren die Personen, die diesen Weg strategisch geprägt und entscheidend vorangetrieben haben?

Hintergrund der Geschichte ist eines der umfangreichsten, aufwendigsten und langfristigsten Markenprogramme Europas. Die Deutsche Telekom hat mit Magenta nicht nur ein Zeichen gesetzt, sondern ein Zeichen strategisch etabliert – über Jahrzehnte hinweg, durch alle Veränderungen der Märkte, Technologien und Medien. Es ist nicht nur ein Fall gelungener Farbwahl, sondern ein Paradebeispiel für systematisch betriebene Markenführung im Zusammenspiel von Gestaltung, Organisation, Recht und Kommunikation.

Die Geschichte von Magenta lässt sich nicht als Heldenerzählung schreiben. Der Aufstieg einer Farbe zur Marke war kein Sololauf, sondern das Ergebnis kollektiver Arbeit, institutioneller Routinen und strategischer Beharrlichkeit. Beteiligt waren Hunderte (Tausende?) von Personen – über die Zeit hinweg sogar mehrere Generationen. Dazu gehörten kluge Entscheidungsträgerinnen im Unternehmen, kreative Entwicklerinnen in externen Beratungsunternehmen, Gestalterinnen, Kommunikationsstrateginnen, Juristinnen, Controllerinnen. Mit der Arbeit zahlreicher Abteilungen wurde Magenta zur erlebbaren Marke gemacht – von der Produktentwicklung über den Vertrieb bis zum Sponsoring, von der Rechts- über die Finanz- bis zur Personalabteilung. Eine zentrale Rolle spielten die Marken- und Kommunikationsabteilungen sowie die unternehmensinterne Markenrechtsabteilung. Letztere arbeitete über Jahre hinweg eng mit spezialisierten externen Markenjurist*innen zusammen, um die Farbe als Marke europaweit schützen zu lassen – eine anspruchsvolle und langwierige Aufgabe, bei der technisches, rechtliches und strategisches Wissen ineinandergriffen. Gerade in den Bereichen Markenentwicklung und Markenschutz zeigte sich dabei besonders deutlich: Erfolgreiche Markenarbeit ist Kooperationsarbeit. Auch auf der Agenturseite lässt sich eine lange Linie der Mitgestaltung verfolgen – über Designagenturen, Markenberatungen, Werbeagenturen, Architekturbüros und Veranstaltungsdienstleister.

Und doch lassen sich zweifelsohne zwei Personen exemplarisch hervorheben, die an entscheidenden Stellen Verantwortung übernahmen und Weichen stellten. Jürgen Kindervater (1945–2023), von 1990 bis 2002 Leiter der Konzernkommunikation, war in den Jugendjahren des Unternehmens der zentrale interne Treiber der Markenstrategie der Deutschen Telekom. Er hat die Entscheidung für den Einsatz von Magenta nicht nur mitgetragen, er hat sie über Jahre hinweg gegen zahlreiche Widerstände, wechselnde Vorstandsstrategien und ständigen Kostendruck immer wieder verteidigt. Für ihn war Magenta kein dekoratives Element, sondern ein strukturierendes Symbol für das moderne, zukunftsgewandte Unternehmen, ein mächtiges Steuerungsinstrument. Auf der Beratungsseite war es Jörg Zintzmeyer (1947–2009), Mitgründer der Designagentur und Markenberatung Zintzmeyer & Lux (später Interbrand), der früh die Differenzierungskraft und emotionale Anschlussfähigkeit der Farbe erkannte. Er setzte sich konsequent für den Einsatz von Magenta als zentralem visuellen Identifikator ein – und überzeugte intern wie extern durch seine strategische Klarheit, sein unermüdliches Engagement und seinen gewinnenden Charme. Beide verband die Bereitschaft, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, die Überzeugung, dass eine Marke mehr ist als ein Logo – und dass Farbe ein zentraler Träger von Identität sein kann, wenn sie mit Konsequenz, Konsistenz und Kompetenz geführt wird.

Der Entwicklungsprozess von Magenta zur Marke lässt sich am besten entlang zentraler Themenfelder beschreiben, die diesen Prozess strukturell geprägt haben: Erfindung, Einführung, Durchsetzung, Weiterentwicklung und Beharrung.

Um 1990 herum stand am Anfang die Gestaltung einer neuen Telekommunikationsästhetik. Heute – mehr als 35 Jahre später – ist Magenta als Markenzeichen der Deutschen Telekom fest in der öffentlichen Wahrnehmung verankert. In der Übergangszeit zwischen staatlicher Verwaltung und privatwirtschaftlichem Wettbewerb – genauer: zwischen der Postreform I (1989) und der Telekom-Privatisierung (1995) – galt es, die visuelle Identität des neuen Unternehmens grundlegend neu zu denken. Magenta war dabei nicht völlig aus dem Nichts gewählt – es gab eine evolutionäre Vorgeschichte: Für die Deutsche Bundespost diente Rot bereits als Kennfarbe für den Bereich Telekommunikation. Diese Farbtradition wurde aufgenommen, aber radikal modifiziert. Aus dem funktionalen Rot der alten Bundespost wurde ein emotional aufgeladenes, auf Differenz und Aufmerksamkeit setzendes Magenta. Der sogenannte “kreative Akt” bestand dabei natürlich nicht in der Erfindung einer Farbe – er bestand darin, eine existierende Farbe in einen bis dato unbekannten Kontext zu stellen und ihr komplett neue Assoziationsfelder zu eröffnen. Darin besteht die grundlegende Leistung der Magentamorphose: Die Farbe macht nicht einfach nur wiedererkennbar – sie wird zur Ikone. Die Farbe wird im Verlauf der Zeit auch gesellschaftlich mit neuen Bedeutungen besetzt. Die Farbe stand damit in Kontinuität zur alten Ordnung – aber vor allem in bewusster und klarer Absetzung von ihr.

Ob sich eine Farbe in einem bestimmten Wirtschaftssektor als Marke etablieren lässt, hängt entscheidend davon ab, ob dieser Sektor bereits farbkodiert ist – ob Konsument*innen also die relevanten Anbieter visuell, rein farblich, eindeutig unterscheiden können. Bei der Entscheidung für Magenta war dies nicht der Fall. Der Telekommunikationssektor war Anfang der 1990er-Jahre visuell diffus, ohne klare Farbzuordnungen. Es öffnete sich ein zeitliches window of opportunity: die Möglichkeit, frühzeitig ein starkes visuelles Zeichen zu setzen, das sich nicht an bestehende Konventionen anlehnt, sondern neue Standards schafft. Die Wahl von Magenta war daher nicht nur gestalterisch kühn, sondern strategisch gut getimt – ein kalkulierter Vorstoß in ein noch unbesetztes Bedeutungsfeld.

Dieses Fenster wurde entschlossen genutzt: durch eine frühzeitige, breite Implementierung in alle Kontaktpunkte des Unternehmens, durch massive mediale Sichtbarkeit über kontinuierliche Markenkampagnen hinweg, durch einen systematischen internationalen Roll-out, bei dem Tochtergesellschaften und neue Märkte ebenfalls konsequent auf Magenta umgestellt wurden. Parallel wurde begonnen, Markenschutzstrategien aufzubauen, Designsysteme zu kodifizieren und kommunikative Konsistenz sicherzustellen. Die Deutsche Telekom besetzte das Feld schnell, laut und umfassend – ehe andere Akteure überhaupt begonnen hatten, Farbidentitäten strategisch zu denken. Was wie ein Farbwechsel erschien, war in Wahrheit ein umfassender Besetzungsakt: ein Zeichen wurde gesetzt – und zur Marke gemacht.

Markenschutz? Ein Kampf mit System. Er war das Ergebnis strategischer Markenführung, politischer Rückendeckung im Unternehmen, juristischer Weitsicht und kollektiver Anstrengung. Dass eine Farbe in einem liberalisierten europäischen Markt rechtlich geschützt und dauerhaft verteidigt werden konnte, war keineswegs selbstverständlich. Es erforderte ein präzises Vorgehen, kompetente externe Unterstützung, fundierte Gutachten und ein systematisches Monitoring möglicher Markenrechtsverletzungen. Auch für die juristische Durchsetzung gilt: kein heroischer Kraftakt, sondern ein strategisches Vorgehen mit visionären Elementen und kontinuierlicher Arbeit – über Jahrzehnte hinweg. Die besondere Bedeutung von Kooperation gilt in besonderer Weise für die Bereiche Markenentwicklung und Markenschutz.

All dies wäre nichts ohne die beharrliche Durchsetzung und Pflege über Jahrzehnte hinweg. Die Markenpflege war ein wesentlicher Bestandteil der Erfolgsgeschichte. In der ersten Phase wurde Magenta bewusst reduziert eingesetzt – kombiniert mit Grau, platziert im weißen Umfeld. Gerade diese kontrollierte Zurückhaltung erzeugte eine besondere Strahlkraft und half, interne wie externe Widerstände zu überwinden. In späteren Phasen wurde Magenta massiv eingesetzt – exemplarisch im Sportsponsoring, etwa bei der international sichtbaren Plattform Team Telekom. Dieser breite Einsatz war für die internationale Durchsetzung der Marke wohl erfolgskritisch. Durch den Einsatz in immer neuen gesellschaftlichen Umfeldern (etwa Musik) blieb die Farbe anschlussfähig und jung. Zugleich wurde das farbliche Umfeld von Magenta kontinuierlich weiterentwickelt – es kam zu periodischen “Neuerfindungen” der Farbe, durch neue Kombinationen, Kontraste, Lichtstimmungen. Diese dynamische Pflege sicherte die Attraktivität der Farbe über Jahrzehnte hinweg – ohne ihre Wiedererkennbarkeit zu gefährden. Magenta blieb, weil keiner sie gehen ließ. Natürlich gab es im Laufe der Jahrzehnte immer wieder andersartige Versuche, neue Wege zu gehen oder andere Farben zu erproben – doch Magenta setzte sich jedes Mal durch.

Magenta ist längst kein Bestandteil der Corporate Identity der Deutschen Telekom mehr – sondern ein Statement. Es ist ein (hoffentlich längst überflüssiger) Beweis dafür, dass Markenführung weit über Logos, Claims oder Spots hinausgeht. Eine Farbe allein kann, richtig eingesetzt, eine ganze Markenidentität tragen – wenn Menschen hinter ihr stehen, die sie strategisch denken, rechtlich verteidigen und kommunikativ immer wieder neu inszenieren. So wurde aus einer Farbe eine Marke. Und aus einer Marke ein Stück kollektiver Wahrnehmung. Die Erfolgsgeschichte von Magenta als Unternehmensmarke ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis strategischer Gestaltung, juristischer Klugheit und organisatorischer Konsequenz. Sie zeigt, wie aus einer bestehenden Farbe ein bedeutungstragendes Markenzeichen werden kann – wenn der Weg dorthin mutig, weitsichtig und beharrlich beschritten wird. Mut: Magenta war eine Entscheidung gegen den Strom. Eine ungewöhnliche, emotional aufgeladene Farbe für ein Technologieunternehmen zu wählen, widersprach gängigen Marktlogiken. Doch genau diese Irritation wurde zur Differenzkraft. Weitsicht: Nicht rückwärtsgewandte Marktforschung bestimmte den Weg, sondern visionäre Gestaltung. Die Farbe wurde nicht nachgefragt, sondern gesetzt. Das Unternehmen schuf damit ein neues Bedeutungsfeld in einem farblich unbesetzten Markt. Beharrungsvermögen: Der Aufbau einer Farbmarke braucht Jahre, manchmal Jahrzehnte. Magenta wurde gepflegt, weiterentwickelt, verteidigt. Nicht modisch gewechselt, sondern strategisch geführt.

Die Magentamorphose zeigt beispielhaft, wie identitätsstiftende Marken entstehen: durch Entscheidung, Führung und Kontinuität. Und durch die konstruktiv-kritische Zusammenarbeit vieler Personen über Jahrzehnte. Dabei stechen viele Persönlichkeiten heraus – keine Held*innen, sondern kluge Köpfe mit Rückgrat.

23. Juni 2025
Ein Beitrag von:

Prof. Dr. Jürgen Häusler ist Honorarprofessor für strategische Unternehmenskommunikation an der Universität Leipzig. Bis zum Eintritt in den Ruhestand 2015 war er Chairman bei Interbrand Central and Eastern Europe, und hat Unternehmen und Organisationen weltweit bei der Entwicklung von Marken beraten. Als Sozialwissenschaftler hat er u.a. am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln gearbeitet.

Kontakt: juergenghaeusler@gmail.com

 

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